Gastbeitrag von Simone Sowe – Der brennende Tannenbaum
Es war genau 2 Tage vor Weihnachten 2013. Deprimiert hockte ich mal wieder in meinem Sessel. Dieser Sessel war damals mein Rückzugsort, nein, besser gesagt er war mein Zuhause. Den größten Teil des Tages und auch der Nacht hielt ich in diesem Sessel auf. Denn zu dieser Zeit in meinem Leben funktionierte ich nur noch, konnte aber nicht sagen, was denn da falsch lief in meinem Leben. Gut, meine geliebte Mama war 3 Jahre zuvor verstorben, und dieser Anlass hatte mich in ein schweres, dunkles Loch gerissen. Im Büro regierte unsere neue junge Chefin und unser bis dahin kleines, aber feines Team löste sich auf. Und auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, spürte ich es: Eigentlich war auch meine Ehe kaputt. Nach und nach tat sich eine Baustelle nach der anderen auf. Alles war zu viel für mich, also einfach nur noch funktionieren und so schnell wie möglich wieder ab in den Sessel, ins schwarze Loch fallen lassen.
Kurz gesagt: Natürlich hatte ich auch keine Lust auf Weihnachten.
„Mama? Feiern wir denn Weihnachten?“ Mein damals 12jähriger Sohn Leon stand vor mir und sah mich erwartungsvoll an. „Natürlich mein Schatz“, antwortete ich mechanisch. Beruhigt atmete er auf. Dann komm‘ mit, wir müssen doch den Baum holen und schmücken.“ „Das kann ruhig mal der Papa machen, wenn er heute Abend wieder zurück ist“ entgegnete ich.
Der enttäuschte Blick in den Augen meines Kindes zwang mich dann doch, mich aus meinem Sessel zu erheben. „Ok dann komm‘ mit. Dann holen wir beide jetzt den Baum.“ Unser damaliger Tannenbaum war ein künstlicher und der steckte in einem Sack tief irgendwo im Keller verstaut. Also wanderte ich mit meinem Sohn sicherheitshalber mit Taschenlampen bewaffnet runter in den Keller.
Dort angekommen bekam ich erst einmal einen Schock. „Was ist denn hier los, das ist ja alles voller Gerümpel?“ Meine Wut auf meinen Gatten, der eigentlich für den Keller verantwortlich war, stieg. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und mich wieder in meinen Sessel verkrochen. Aber solch‘ ein Platz ist ja auch ein kleines bisschen Abenteuerspielplatz für einen 12jährigen. Mein Sohn kletterte auf Kisten, hüpfte über alte Matratzen und schlängelte sich vorbei an den alten Schränkchen, und endlich hatte er den Tannenbaum gefunden.
Beim Gehen fiel mein Blick plötzlich auf zwei saubere, verschlossene Kisten. Irgendwie sahen sie anders aus als der Rest im Keller, denn sie passten nicht in das chaotische Gesamtbild. „Leon, ich habe noch einen Auftrag für dich, du großer Klettermeister. Hol‘ doch mal die beiden Kisten von dort“. Mein Sohn kletterte begeistert in Richtung der Kisten und auch ich mühte mich vorwärts durch das Chaos. Irgendetwas in mir wollte unbedingt wissen, was in diesen Kisten war. Gemeinsam gelang es uns, die Kisten zu bergen und auf eine freie Fläche zu ziehen.
Neugierig öffnete ich noch im Keller die erste Kiste. Ganz oben auf lag ein Foto von mir als Kind und meiner Mutter. Wunderschön gerahmt, im weissen Kommunionkleid sitze ich dort und neben mir steht meine vor Stolz strahlende und elegant gekleidete Mutter. Fassungslos starrte ich auf dieses Foto. Wie konnte das sein? Woher kam denn nun dieses Foto? Wer hatte es in diese Kiste gelegt? Sogleich wühlte ich weiter und wurde schon 2 Tage vor Weihnachten wunderschön beschenkt. Es war magisch, denn in diesen Kisten war alles, was ich immer geliebt hatte: – Besondere Bücher über das alte Ägypten, die ich schon als Kind verschlungen hatte, meine immer noch einsatzbereiten Kalligrafie Füller, mit denen ich meinen damaligen Brieffreundinnen geschrieben hatte – mein Poesiealbum aus der Grundschulzeit mit den alten wunderschönen Glanzbildern – mein Gesangsbuch welches ich zur Kommunion geschenkt bekam – eine Schulbibel und der Atlas der weiterführenden Schule, meine Tarotkarten mitsamt Lehrbuch, die ich als Teenager gekauft und später im Leben völlig verdrängt hatte – eben lauter Lieblingsstücke aus meiner Kindheit bis zur jungen Erwachsenenzeit.
Nachdem wir alles in die Wohnung getragen hatten, betrachtete ich noch einmal meine Schätze. Ich fühlte mich so reichlich beschenkt, als hätte meine Mama mir diese Dinge unter den Tannenbaum gelegt. Ich zögerte, denn das hätte ja geheißen, meine Mama ist da noch irgendwo? Damals kam mir dieser Gedanke sehr fremd vor und ich schob es auf den Zufall.
Leon schmückte munter den Baum und entwirrte und verteilte sogar die Lichterketten. Schnell stellten wir das kleine Bäumchen noch auf einen Tisch und standen dann bewundernd vor seinem Werk. Wie schön dieser Baum doch war! „Komm, wir machen schnell das große Licht aus und die Lichterketten am Baum an und schießen ein Foto. Und dann zeigen wir auf Facebook, wie schön du unseren Baum geschmückt hast“.
Gesagt – getan. Ich hatte mir ja auch gerade ein neues Handy gegönnt, und so konnte ich herausfinden, ob man mit dieser Kamera auch schöne Bilder machen konnte. Ich drückte also auf den Auslöser, war aber sofort unsicher, ob das Bild etwas geworden war. Also schoss ich sofort noch eines hinterher. Somit liegen zwischen den beiden Bildern also nur wenige Sekunden.
Leider kann ich euch hier diese Fotos nicht zeigen. Das zweite Foto zeigt jedenfalls einen beleuchteten Tannenbaum genau wie er damals aussah.
Auf dem ersten Bild sieht es jedoch so aus, als würde dieser Baum „brennen“. Unten wo sich der Christbaumständer befindet, sieht es so aus als liegt ein dickes schwarzes Kreuz auf dem Tisch. Zusätzlich gibt es so viele Details in diesem Baum, die auf dem zweiten, nicht „verwackelten“ Foto gar nicht vorhanden sind. Auch heute nach vielen Jahren blicke ich auf dieses Foto vom brennenden Tannenbaum und entdecke immer wieder kleine Details.
Ich habe den „brennenden Baum“ damals sofort einigen Leuten gezeigt. Die meisten haben sich sehr erschrocken. Viele warnten: „Pass‘ bloß auf, dass der Baum nicht wirklich abfackelt“. Andere gruselten sich mehr vor dem dicken schwarzen Kreuz auf dem Tisch.
Für mich war dieses Foto von der ersten Sekunde an immer ein Zeichen: Da sendet dir jemand ganz viel Energie. Verlass‘ dich drauf, du bist nicht allein. Ich stehe dir bei, immer noch….“
Eine Woche später habe ich meine Ehe beendet und mich in eine andere Abteilung versetzen lassen. „Geheilt“ war ich dadurch noch lange nicht, aber es war mein erster Schritt raus aus der Hölle der Depressionen und zurück ins Leben. Es ist ein anderes Leben geworden wie vorher, aber ich bereue nichts.
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