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Träume 1918 – Der Malergeselle von Stralsund von Constanze Junker

Stralsund, Knieper Vorstadt, Februar 1918.

Schlaflos und hungrig wälzt sich Wilhelm auf dem schmalen Bett herum. Neben ihm seufzte seine Frau. Träumend. Vielleicht gab es in ihrem Traum ein gutes Essen. Ja, eine Schmalzstulle essen –das wäre jetzt schön. Als er gestern endlich von der Front auf Urlaub gekommen war, fand sich im ganzen eiskalten Haushalt kein Krümel Brot. Von anderen essbaren Dingen gar nicht zu reden. Und überhaupt – Haushalt! Dieses erbärmliche Hinterzimmer sollte ihr Zuhause bleiben? Noch war der Krieg nicht zu Ende, die Zeiten waren schlimm, aber schon vorher hatten sie seinen Lohn und das, was sie als Schneiderin nach Hause brachte, gebraucht, um auch nur die Miete für diesen dunklen, feuchten Raum zusammenzubringen. Mittlerweile hatten sie zwei Kinder, der Kleine war mitten im Krieg zur Welt gekommen. Die beiden schliefen dahinten in der Ecke. Was sollte also werden? Frau und Kinder waren wie er selbst unterernährt. Was nützten Lebensmittelkarten, wenn es in der Stadt kein Brot zu kaufen gab. Emma, seine Frau, war schon oft auf die Dörfer gegangen und hatte ihre Hilfe beim Nähen und Stricken für Lebensmittel angeboten. Aber die Bauern mussten selbst für den Kriegsbedarf abliefern, die Ernten waren schlecht gewesen, Männer und Zugvieh an der Front, es würde also auch nicht besser werden. Wenigstens hatte sie heute einen Kohlkopf und ein paar schrumpelige grüne Äpfel bekommen. Wenn doch bloß der Krieg bald zu Ende wäre! Er wollte endlich wieder in seinem Handwerk als Maler arbeiten, später vielleicht mit einer eigenen Firma. Schon vor seiner Abkommandierung zum Heer hatte er versucht, eine Meisterausbildung zu machen. Aber die verdammten Pfeffersäcke hier in Stralsund hatten ihn abgelehnt – nur weil er erst kurz vorher in die Stadt gezogen war. Dabei war er vor der Hochzeit, in seinen drei Wanderjahren, bis nach Italien gekommen und hatte Techniken gelernt, die hier nur von wenigen anderen Malern ausgeführt werden konnten.

Aber er wollte nicht aufgeben, zumal er bereits eine Möglichkeit für die Verwirklichung seiner Pläne erkannt hatte: Emmas Patenonkel hatte bereits 1890 auf Rügen in einem Küstenort im Südosten ein großes Haus gebaut, mit Fremdenzimmern. Sogar Öfen hatte er darin setzen lassen. Die Kleinbahn fuhr inzwischen von Altefähr, gegenüber Stralsund, bis nach Göhren – die Lieferung von Material sollte also kein Problem sein. Ebenso konnte er das von der Auftragslage dort erwarten. Der Ort selbst war zwar klein, aber schon vor dem Krieg waren dort Hotels und Pensionen gebaut worden, Fabrikanten und Kaufleute aus ganz Deutschland hatten Grundstücke für weitere Neubauten gekauft. Von Jahr zu Jahr waren mehr Badegäste gekommen. Nichts für ihn, aber sogar eine Badeanstalt für Herren und Damen für die Städter gab es bereits, der Bau einer eigenen Anlegestelle für Ausflugsdampfer allerdings durch den Krieg unterbrochen worden. Der Patenonkel und dessen Frau waren alt geworden, allzu lange konnten sie Haus und Garten nicht mehr allein bewirtschaften. Sie könnten dort selbst Kartoffeln und Gemüse anbauen, in den Scharrraum der Hühner passten sicher noch ein paar Karnickelbuchten. Platz im Haus für die vier Stralsunder wäre wohl auch, mehr als hier in der Stadt auf alle Fälle – notfalls müssten die beiden Alten eben ein, zwei Zimmer abgeben. Und einen guten Preis würde er bei denen schon durchsetzen, immerhin zieht die ganze Familie mit. Hauptsache ist aber erst einmal, dass sie alle diesen Krieg überleben. Übermorgen muss er wieder an die Front. Schlaflos, hungrig und frierend wälzt sich Wilhelm wieder auf die andere Seite.


Vor 100 Jahren ist eine Miniserie, die in diesem Jahr viele Blicke zurückwirft.

Kurz vor Ende des 1. Weltkrieges1918 begannen die Matrosenaufstände, die in die Novemberrevolution mündeten und die Monarchie stürzte. Wie sah das Leben kurz davor und danach aus?  Mit welchen Sorgen schlugen sich Malergeseller, Reporter, Chemiker oder Politiker herum? Wie stand es um die Frauenrechte, was geschah in Kunst und Kultur.


Bilderquelle: Aus dem Privatbesitz von Constanze Junker, Autorin bei Quintessenz

Aus Birkenrinde sind die mit viel Liebe handgefertigten Feldpostkarten. Papier war wie alles im Krieg Mangelware und selbstverständlich erst recht im Schützengraben. Geburtstagsgrüße an die kleine Tochter, Lebenszeichen für die Frau.

 

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