Zeitreise in die 70er Jahre
als Helmut Schmidt Bundeskanzler war
Gestern habe ich nachgedacht, ab wann ich Helmut Schmidt „gut fand“ und tatsächlich bedauerte, dass er gestern starb. Zeit für einen Rückblick und eine kleine Zeitreise.
Ich war erst 14 Jahre alt, als Helmut Schmidt Bundeskanzler wurde und weit davon entfernt, ein differenziertes politisches Verständnis zu haben. In der Rückschau ist es für mich jedoch erstaunlich, wie viele Kinder und Jugendliche Stimmungen im Land mitbekamen, wie sie Erwachsene beobachteten und manchmal auch tatsächlich zu einem Urteil über sie und ihre Meinungen kamen. Wir fällten herrlich eindimensionale Urteile, die ausschließlich schwarz oder weiß waren, und oft plapperten wir das nach, was man zu Hause gehört hatte.
Der Umzug aus einem unbekannten Dorf Messel – na ja, unbekannt bis zur Entdeckung des Urpferdchens – an die hessische Bergstraße brachte mir neue Freunde und Klassenkameraden.
Hier gab es viel mehr Jugendliche und Freunde, die wohl sozialdemokratisch gesinnte Eltern hatten, und auch hier wurden sie von ihren ‚Pubertieren‘ belauscht. Ohne dass ich es wollte, verglich ich immer all ihre Meinungen und kam gefühlsmäßig zum Schluss, dass ich keinen der Politiker und keine Meinung sympathisch fand.
Meine Mutter hatte, als Frau die 1921 geboren wurde, niemals eine eigene politische Meinung, es war geradezu selbstverständlich, dass sie die jeweilige Meinung des Ehemannes annahm.
Sie war 1974 bereits zum zweiten Mal verheiratet und mein Stiefvater (Jahrgang 1911) war streng rechts. ( So war auch sein „Erziehungsstil“). Ich bemerkte, dass Helmut Schmidt bisweilen in seiner Partei wenig gelitten war, denn meine Eltern freuten sich darüber. Die harten Auseinandersetzungen – ja fast Rüpeleien – im Bundestag von Strauß, Wehner, Schmidt, Brandt wurden damals auch im Fernsehen übertragen. Das war der Beginn eines langen Prozesses meiner politischen Bildung und folgende Ereignisse formten diese weiter.
1975 kam die Zeit der RAF, das Klima der Angst spürten auch wir Jugendliche und es war medial auch nicht zu überhören – wir nahmen das erhöhte Polizeiaufkommen wahr. Studenten, die links und langhaarig waren, wurden per se gleich als potentielle Terroristen, aber mindestens als Querulanten eingestuft.
Ganz unerhört: Frauen fingen ebenfalls an, den Mund aufzumachen.
1977 war ich nun 17 Jahre und es rumorte im Land. Die Friedensbewegungen‘ und die „Neuen Linken“ formierten sich.
1980 gründete sich in meiner Wahlheimat Karlsruhe die Partei meiner Generation: ‚Die Grünen‘ und sie hatten alles, was mir sofort sympathisch war.
Keinen Politikersprech, keine Hierarchie, Frauen kamen zu Wort, und sie verbanden alte und junge Bürger aus allen Schichten. Ganz prima war es für mich, dass ich mich natürlich gleich ins Recht gesetzt fühlte, wenn man die ‚toll‘ fand. Größer konnte die Diskrepanz zu der politischen Einstellung meiner Eltern nicht sein.
Eine andere Facette der Meinungsbildung wurde von einem meiner größten Idole Konstantin Wecker geschärft. Heute unvorstellbar, dass Lieder aus einer herben Mischung zwischen Poesie, klarer Kante zum politischen Geschehen von so vielen aufmerksam gehört wurden und diese Menschen politisch miteinander verband.
Ja, und Helmut Schmidt? Wieso finde ich heute, dass er ein kluger Kopf war, der was zu sagen hatte?
Tja, die meine Welt ist nicht mehr wie früher schwarz-weiß, sondern besteht aus unendlich vielen Graustufen.
So freue ich mich an manchen eindeutigen Meinungen von Helmut Schmidt, auch wenn ich sie nicht immer teile, diese z.B. nicht: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“
Aber mir gefällt, dass er sich so vehement für Europa Idee einsetzte, den ideellen Wert erkannte und dass Europa sich nicht nur über die Wirtschaft definierte.
Er, dem Kunst und Kultur wichtig war, der die Künstlersozialkasse einführte (deren Mitglied ich bin), der an jedem Tag bzw. noch in der Nacht sich mit Klavierspielen wieder „auffüllte“, gilt meine Anerkennung.
Ich schließe mit ein paar Zitaten, die immer noch Gültigkeit haben.
„Nichts ist wichtiger als Seelsorge für Menschen in Not. Für mich ist nichts unwichtiger als Theologie.“
„Bibliotheken sind die geistigen Tankstellen der Nation“
„Das Schneckentempo ist das normale Tempo der Demokratie“
Viele Biografien wurden geschrieben, von verschiedenen Autoren, wir wären gern einer dieser Chronisten gewesen.
Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F039611-0005 / Storz / CC-BY-SA 3.0
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