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Biografieraetsel 14. September

Diese Biografie zu schreiben ist, wie in der Dämmerung in einem Labyrinth endlich den Ausgang zu finden.
Würden wir beauftragt – was sehr unwahrscheinlich ist – , die Lebenserinnerungen der gesuchten Frau zu schreiben, müssten wir unweigerlich die Memoiren des Sohnes mit aufnehmen.
Beide Lebenswege liefern Stoff für mehrere griechische Tragödien, und so springen wir mitten hinein in das Leben des Sohnes und das seiner Mutter. Geboren ist der Sohn tatsächlich in Griechenland, doch sollte er dort nicht heimisch werden. Die Schuld tragen daran, wie man gern umschreibt, die ‚äußeren Umstände‘ – die sich namentlich auf die verkorkste Ehe seiner Eltern kürzen lässt.
Als Filius hat er noch vier ältere Geschwister, und hier beginnt nun – wie es sich für einen Griechen gehört – die Odyssee. Die Eltern verlassen getrennt Griechenland, der Vater findet es angenehmer mit seiner Geliebten zusammenzuleben, und für diesen Lebensstil müssen eben Opfer gebracht werden. Natürlich nicht er selbst, Gott bewahre – sondern dieses Opfer brachten seine Kinder und die Ehefrau. Er dachte gar nicht daran seine Familie finanziell zu unterstützen. So war die kleine, aus der Bahn geworfene Familie auf Unterstützung von Freunden an ihrem neuem Wohnort Paris angewiesen. Vielleicht stimmt es ja doch, dass die taubstumme Mutter an der Hochzeit angeblich das ‚Ja‘ mit einem ‚Nein‘ verwechselte und zur großen Erheiterung der Gäste meinte, sie wolle ihren Mann nicht ehelichen, sie sei schon vergeben. Vielleicht wusste diese hochgebildete und sehr schöne Frau bereits was sie erwartete, oder träumte von einem Leben im Kloster. Sie soll mehrere Sprachen in der Taubstummensprache beherrscht haben.

Neben den freundlichen Zuwendungen von Freunden war sie sich nicht zu schade, in Paris ein Geschäft zu eröffnen um Bilder, Handstickereien und Spitzen zu verkaufen. Nach 8 Jahren in Paris, mit dem Ehekonflikt, der finanziellen Not mit 5 Kindern, dem Geschäft und vielleicht auch dem Gefühl, gerade als gehörlose Frau ausgegrenzt zu sein, knickte für einige Jahre ihre Psyche ein. Sie lebte mehr und mehr in einer Traumwelt, die wohl entschieden freundlicher als die Gegenwart war und konnte beide nicht mehr auseinanderhalten. Ihr Sohn war noch ein Kind, als bei ihr Schizophrenie diagnostiziert wurde. Sie kam die folgenden Jahre in Sanatorien. Wen wundert’s?

Die Schwestern unseres Gesuchten waren bereits aus dem Haus, und als der Vater sich weigerte den Jungen aufzunehmen, setzte unser Gesuchter die Odysee seiner Mutter fort. Er wurde innerhalb der Verwandtschaft hin und hergeschoben und lebte auch bei seiner Schwester, bis diese fand, dass es genug sei und ihn in ein gerade gegründetes Internat am Bodensee brachte. Leider brach dann der zweite Weltkrieg aus und so setzte er auf Internaten in Frankreich und England seine Ausbildung fort.
Mit dem Vater verband ihn mittlerweile nur noch ein Briefverkehr. Als er die Internate hinter sich lassen konnte, war er ein großer junger gut aussehender Mann, mit einem markanten Profil und hellen wachen Augen. Er ging zur Marine und zeichnete sich besonders durch Pflichterfüllung und Tapferkeit im zweiten Weltkrieg aus, und wurde hier auch mehrfach in den Kriegsberichten erwähnt. Mit 26 Jahren heiratete unser „Odysseus“ und lief damit in einen Hafen ein, der nun seit 74 Jahren Beständigkeit gibt.

Und seine Mutter? Ja, diese erholte sich, überlebte den Gatten, verließ das Sanatorium und kehrte nach Griechenland zurück, wo sie einen Orden gründete und als Nonne im Nationalsozialismus jüdischen Familien half. Nach dem Militärputsch in Griechenland musste sie erneut das Land verlassen und zog bei ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter ein. Als sie starb war die Reise noch nicht zu Ende. Denn zuerst wurde sie im Familiengrab beigesetzt, später wurde ihr Wunsch umgesetzt und man überführte die sterblichen Überreste nach Jerusalem.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Prince_Philip,_Duke_of_Edinburgh?uselang=de#/media/File:PHILIP_PRINCE-OIL_PAINTING.jpg

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