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Da liegt was in der Luft – duffte Erinnerungen

Wer kennt es nicht? Da liegt ein Duft in der Luft, und zeitgleich tauchen innere Bilder aus der Vergangenheit auf. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist der Geruch von eingelagerten Äpfeln.

Dieser Duft kam aus dem Keller des Wochenendhauses meines Onkels, welches inmitten eines großen Obstgarten lag. Der Keller war für mich verboten, ich durfte dort nicht rein, nein, auf gar keinen Fall, wie mir der Mann meiner Tante immer einschärfte. Ich war vier Jahre alt, und hatte dort niemanden, der mit mir spielte. Wenn ich mich langweilte, schlich ich mich trotzdem zum Keller, der mir ein wenig unheimlich war. Hinter der Holztür lagen auf luftigen Regalbrettern die Äpfel. Sie sahen nicht aus wie die, die uns heutzutage im Supermarkt entgegenstrahlen, sie waren teilweise schrumpelig oder hatten Druckstellen, und sie verbreiteten einen leicht süßlichen Geruch. Die Mischung mit dem des modrigen Kellers, von ein wenig Schimmel, das Feuchte und Kühle – eine Geisterbahn besonderer Güte für ein Kind mit galoppierender Phantasie. Wenn ich dann nach diesem aufregendem Abenteuer heil und unbeschadet einen der Äpfel mitnahm, lag das nicht daran, dass ich diesen essen wollte. Er war der sichtbare Beweis meines Mutes und meiner Kühnheit.

Als ich später so mit 11 oder 12 Jahren, wieder die letzten Tage der Sommerferien zwischen all den Erwachsenen als einziges Kind verbrachte, ging ich nach meinem Streifzug durch den riesigen Garten wieder in den Keller. Seit ich in der Schule war, hatte er eigentlich seine Attraktion verloren, dennoch trieb mich die Langeweile die Kellertreppe hinunter. Dort entdeckte ich einen riesigen, wunderschönen gelbroten Apfel, der so groß wie eine Honigmelone war. Das Rot franste zum Gelb in kleinen Pünktchen aus, und er roch betörend. Sein kleiner, kurzer Stiel war fest und grünbraun, und ich wunderte mich, wie dieser den Apfel am Baum gehalten hatte. Er musste wohl kräftig gewesen sein, denn keine Druckstelle war zu sehen, er hatte die Frucht gehalten, bis er vom Onkel gepflückt wurde. Diesen Apfel musste ich haben! Mit zwei Händen trug ich ihn nach oben und bettelte, ihn mit in die Schule nehmen zu dürfen. Das kategorische ‚Nein‘ ignorierte ich und bettelte weiter. Mein Onkel befürchtete, dass sein ganzer Gärtnerstolz achtlos im Müll landete. Irgendwann gab er nach, aber er schärfte mir ein, den Apfel ganz aufzuessen. Natürlich versprach ich es hoch und heilig, und ich hatte auch vor mich daran zu halten.

Kaum hatte die Schule wieder begonnen trug ich diesen Apfel, der so groß und schwer war, den sehr langen Weg bis zu meiner Schule. Die Arme wurden mir schwer, aber die Vorfreude, einmal richtig bewundert zu werden, unterstützte mich dabei sehr. Als dann endlich die Pause kam, holte ich den Apfel aus der Tüte. Das Gejohle meiner Klassenkameraden war für diese Mühe eine warme Gefühlsdusche. Aber die Freude währte nicht lang. Ich musste den Apfel essen und biss beherzt rein. Der Geschmack war ein wenig fad, aber das störte mich nicht so sehr.
Als die erste große Pause vorbei war,  war nur die Größe eines normalen Apfels geschafft. So kaute ich auch in der  zweiten großen Pause, und die Zähne wurden mir allmählich lang. Währenddessen wurden die Bissstellen braun, und da wollte natürlich keiner meiner Freundinnen helfen und abbeißen. Am Ende des Schultages war immer noch ein großes, braunes Stück Apfel übrig. Nichts war mehr zu sehen von seiner Einzigartigkeit und Schönheit.
Mit einem traurigen Gefühl warf ich den Rest fort und hoffte nur, dass man mich nicht zu Hause fragte, ob ich ihn auch aufgegessen hätte. Ich hatte umsonst gehofft, so log ich tapfer und mit einem schlechten Gewissen, das so schwer war, wie einst der Apfel.

Übrigens: Heute esse ich Äpfel nur in kleinen Schnitzen oder als Kuchen. Woran das wohl liegen mag?

Weitere Erinnerungen an Gerüche:
Was bleibt? Von Barbara Nagel – Gastbeitrag 12 Monate – 12 Themen

https://blogq5.de/wonach-rochen-die-sommerferien-in-den-60er-und-70ern/

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