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Wilhelm Holzamer? Nie gehört! 28. August 2016 ist sein 109. Todestag –  ein Rückblick auf die abenteuerliche Geschichte seiner Urne

Wenn wir es ein wenig offiziell schreiben müssten, würden wir den zu Unrecht vergessenen Wilhelm Holzamer (28. März 1870 – 28. August 1907),  so vorstellen:
Geboren  in Nieder-Olm/Rheinhessen und in Berlin gestorben.
Nach seiner Ausbildung arbeitet er zunächst als Lehrer in Heppenheim, danach als Kabinettsbibliothekar und 1901 als Leiter der Darmstädter Spiele auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (einem der Zentren des Jugendstils) und schließlich als Kulturkorrespondent deutscher Zeitungen und freier Schriftsteller in Paris und Berlin.

Hauchen wir den trockenen Informationen etwas mehr Farbe ein. Erzählen wir von ihm als Mensch und seinem Kampf gegen Konventionen und für die persönliche Freiheit, für Gleichberechtigung der Frauen, und natürlich muss auch die Geschichte seiner damals skandalösen Liebe erzählt werden.

Eine Folge der  Erziehung

Doch der Reihe nach. Nennen wir ihn kurz nur Wilhelm, holen wir ihn zurück in unser Gedächtnis und nehmen ihn, 109. Jahre nach seinem Tod, doch mit offenen Armen auf.  Mit seiner ersten Arbeitsstelle in Heppenheim wurde er dort auch sesshaft – er heiratete die Marie (Hamel).
Ab nun fühlt er die zwei Seelen in seiner Brust. Heppenheim, damals wirklich erzkonservativ und streng katholisch, nahm den in der Wolle gefärbten Demokraten Wilhelm die Luft und er fühlte sich fremd.
Sein Großvater, ein Freigeist und leidenschaftlicher Anhänger der Revolution von 1848 hatte ihn großgezogen – na ja, Sie wissen schon, jene kühnen Menschen, die meinten es sei eine gute Idee ein nationales Parlament einzurichten, Pressefreiheit einzuführen und die Bauernbefreiung anzugehen (also die Leibeigenschaft abzuschaffen). Gerade dies kam nicht wirklich gut bei den Fürsten an, und es wurde ja dann auch nichts daraus. Aber kehren wir zurück. Sein Großvater war ein Anhänger dieser Gedanken und ja, Wilhelm war damit aufgewachsen. Das wird später bei seiner Bestattung noch Ärger machen. Aber warten wir damit noch ein bisschen.

Aufreibende Zeiten und Entscheidungen

Jetzt lebte Wilhelm in einer Zeit der  Reformbewegung und des Jugendstils,  die alles nochmals auf den Prüfstand hob. So suchte er nach einem tragfähigen neuem Menschbild, das schloss auch die Gleichberechtigung der Frauen ein. Die Reformbewegung brachte Menschen auf neue Ideen zur Erziehung,  wie z. Bsp. auch Paul Geheeb,  Literaten und Intellektuelle, alle waren in einer geistigen Aufbruchstimmung. Schnell fand  Wihelm Kontakt und Halt bei diesen Künstlern, entfernte sich aber immer mehr von seiner Familie. Er hatte mittlerweile sich von seinem Bruder im Geiste – Georg Metzendorf – ein Haus in Heppenheim bauen lassen und lebte dort mit seinen 7 Kindern. Er arbeitete, schrieb seine Bücher.

Als Dichter, Organsisator, Kritiker endlich anerkannt

Dann  wurde Ernst-Ludwig, Großherzog von Hessen und bei Rhein, auf den jungen Dichter aufmerksam. Er lud ihn und eine Künstlergruppe ein, die Darmstädter Spiele zur Eröffnung der ersten Jugendstilausstellung zu organisieren. Was soll ich sagen – er hatte seinen Ausweg gefunden, um der Enge zu entfliehen. Jetzt springe ich ein wenig – er lernt die Schauspielerin und Frauenrechtlerin Nina Carnegie Mardon kennen und es ist um ihn geschehen.

Jetzt sind wir endlich beim Höhepunkt des Dramas.

Er ist eine ehrliche Haut, er kann kein Doppelleben führen. Er ringt mit sich und schreibt: „ … Ich bin halt auf dem Weg abgestrichen worden, ich bin nicht in die rechte Furche gefallen.“  Er verlässt Marie und seine Kinder und zieht nach Paris. Er muss selbst sehr darunter gelitten haben, er war er wohl ein liebevoller Vater, denn er schreibt seinen Töchtern neben seinen Büchern lange Briefe. Der innere Konflikt macht ihn depressiv, er lebt von seinen Lohnschreiberlöhnen und schickt das meiste Geld nach Heppenheim. Jetzt zieht er nach Berlin und zeitweise leben 4 seiner Kinder dort. Als das Honorar für seinem Roman  eingeht, reist er mit seiner Nina und den 4 Kindern nach Bornholm. Sein Sohn erkrankt und Wilhelm steckt sich bei der Pflege mit Diphterie an. Zu viel Arbeit, gesundheitlich geschwächt, die Nerven zerrüttet wird auch er nach kurzer heftiger Krankheit in Berlin versterben. Was für ein Kummer, denn sein Name könnte genauso in einer Reihe mit Thomas Mann, Heinrich Mann etc. genannt werden, wenn ja, wenn sein Verlag besser ihn betreut hätte. Meint jedenfalls seine Biografin. Er war weltweit sehr wohl anerkannt, doch heute kennen ihn hier nur einige Heppenheimer und ein paar Nieder-Olmer.

Die vergessene Urne

Was jetzt kommt ist ein ganz besonderes Husarenstückchen. Seine Urne wird von Berlin nach Jena zu seinem Verleger geschafft und dort beigesetzt. Aber der arme Kerl hat immer noch keine Ruhe. Ein Teil der Nieder-Olmer Bürger – Sozialdemokraten – wollen den damals berühmten Sohn in seiner Geburtstadt beisetzen und ließen die Urne nach Nieder Olm überführen. Dabei hatten sie aber nicht mit den Gegnern der Sozialdemokratie gerechnet und hatten daher vor allem die Kirche gegen sich. Nein, hier wird er nicht begraben, der Streit wird auch nicht beigelegt und so steht die Urne rum und kehrt wohl nach Heppenheim zurück, wo sie im Holzamer-Haus in einem Schrank vom Urenkel Wilhelms gefunden wird. Dieser, Hans-Jörg, bestattet nun seinen Urgroßvater auf dem Heppenheimer Friedhof.

Gegen das Vergessen Die Kleine Chronik

Seit einem Jahr gibt es gegen dieses Vergessen auch eine Kleine Chronik mit Bildmaterial– ehrenamtlich von uns und in Zusammenarbeit mit dem Heppenheimer Kenner Harald Kandler und dem Urenkel Hans-Jörg Holzamer erstellt.

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