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Wenn das meine Tochter machen würde … Trampen I.

In jeder Familie gibt es meist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geheimnissen der Kinder und denen der Eltern. So haben die Kinder und Jugendliche beispielsweise Geheimnisse oft rund  um die Themen“ nicht gemachte Hausaufgaben“, später als Puber-Tier „wer mit wem“,  aber auch „ wir sind dann bei XY“ – um rauschende Feste woanders zu feiern, das erste Mal total betrunken zu sein, und vom „ersten Mal“ sprechen wir schon gar nicht mehr.Aber auch die Eltern sind da immer auf Ausgewogenheit bedacht, denn wenn man mal die witzigen Anekdoten aus der eigenen Jugend zum Besten gibt, dann, ja dann,  glaube ich, dass viele die unangenehmen Aspekte verschweigen. Vielleicht weil es peinlich ist, vielleicht weil man heute weiß: Wenn das meine Tochter machen würde, ich hätte Ihr die Ohren lang gezogen. Nehmen wir das Beispiel ‚Trampen‘.
In Zeiten wo es kein RyanAir gab, man mit kleinen Schülerjobs noch auf eine kleine Freiheit als Urlaub von zu Hause und Schule sparte, war das Trampen eine billige und weit verbreitete Art in Europa oder noch weiter herum zu kommen. Nicht jeder hatte ein eigenes Auto oder konnte sich damals das Interrailticket für circa 300 DM leisten, womit man für einen bestimmten Zeitraum mit dem Zug durch ganz Europa fahren konnte. Das Trampen war in den 70er und 80ern so fest im Alltag verankert, dass es völlig normal war so von A nach B zu kommen nachdem man den letzten Bus verpasst hatte, weil man zu einem Freund wollte, vom Land in die Stadt. Immer, ja immer, wurde davor von Älteren gewarnt und wir haben diese Warnung wirklich in den Wind geschlagen, auch in Ermangelung einer Alternative. So sollten Mädels immer zu zweit trampen, oder mit dem Freund, was aber dazu führte, dass man mit dem Freund an der Seite auch schon mal viele Stunden am Straßenrand stand.
Die, die anhielten waren mehrheitlich gutmütige Familienväter oder motorisierte Studenten,  aber ich bin damals auch mit einigen Verrückten unterwegs gewesen, wo mir die Angst langsam kribbelnd den Rücken runterkroch  und ich heftig dagegen ankämpfte, nicht die Kontrolle zu verlieren und mein ganzes schauspielerisches Talent zusammenkratzte, um cool und überlegen zu wirken.

Der Typ saß in Nylons da …
Es war an der Autobahnausfahrt Karlsruhe Richtung Freiburg, als ich wirklich erst nach Stunden wegkam. Es regnete zu allem „Überfluss“, und so durchweicht sanken die Chancen auf eine MFG auf Null, weil viele Fahrer wohl Angst um die Polster hatten. Endlich hielt ein wirklich alter Kleinbus. Mein Gott war ich erleichtert! Ich packte mein Zeugs, rannte zum Auto, prägte mir dabei schon das Kennzeichen ein, und riss die Tür auf, wobei mir eine Woge warmer Luft entgegen kam.

„Fahren Sie in Richtung Freiburg?“. Er bejahte.  Ich „ scannte“ den Typ,  und ich muss zugeben, dass da ganz zart ein Alarmglöckchen klingelte, dass ich beherzt ignorierte, denn der Regen nahm gerade zu.

Als ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte war ich überwältigt vom „versifften“ Innenraum.  Ich versuchte auf so wenig Platz zu sitzen wie nötig, zog auch meine Jacke nicht aus, denn damit hätte ich mich irgendwo festhalten müssen und kramte verlegen in meiner Tasche. Jetzt regnete es mittlerweile ‚Wasser am Stück‘. In einer großzügigen Geste zeigte der schwiemelige Typ auf die Thermoskanne und einen Kaffeebecher, der beim Gesundheitsamt sicher für Aufregung gesorgt hätte. Der lebte fast schon… ich lehnte dankend ab. Mein Alarmglöckchen schrillte heftiger, aber ich dachte auch nach und fragte beherzt, ob er die Autobahnkapelle in Baden-Baden auf der Raststätte kennen würde, es sei eine echte Sehenswürdigkeit und ob er mich da rauslassen könnte, weil ich würde die mir gern ansehen. Ich weiß, dass dies ein wenig verwegen war, aber wir würden in 5 Minuten dort sein und etwas Besseres fiel mir nicht ein. Mein Kopf war schließlich schon ein wenig heiß, die Nase trocken von dieser heißen Heizung, und ich wunderte mich nicht mal sonderlich, dass der Fahrer mit einer Decke über den Knien fuhr.

Als wir fast den Rastplatz erreicht hatten, fragte er mich beiläufig, ob er die Decke nach hinten legen könne. „Ähm jaa?“ . Ach, ich dummes Kind –  ich wusste ja nicht worauf ich mich da eingelassen hatte, denn er legte völlig ungeniert die Decke weg und saß in einer Nylonstrumpfhose da – wohlgemerkt ohne Unterhose.

Mittlerweile war die Alarmglocke in meinem Kopf zu einem ausgewachsenen Big- Ben- Geläut angeschwollen. Ich zog die Luft ein, und rückblickend war es wohl nicht sehr klug, aber grundsätzlich reagiere ich in Grenzsituation eher aus dem Bauch heraus und sah ihm ins Gesicht:

“Meinen sie, das schockiert mich? Ich arbeite im Altersheim, das sehe ich doch jeden Tag!“

Wow, das hatte gesessen. Drei Kreuze schlug ich, als er tatsächlich die Abfahrt zur Raststätte nahm. Kaum hatte der Wagen gehalten, war ich auch schon draußen und rannte in die Autobahnkirche.
Hier schließt sich der Kreis, denn wenn ich daran denke, dass das meine Tochter machen könnte….

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