Placebo – Gastbeitrag von Renate Schiansky
Ich stehe im Wohnzimmer neben dem kleinen, schwarzen IKEA – Tisch, stehe ganz still, die Augen halb geschlossen, nur die Tränen bewegen sich langsam über meine Wangen; halten kurz inne, ehe sie, eine nach der anderen, auf die Decke tropfen. Ich will nicht weinen, es ist nicht meine Art. Es ist auch nicht meine Art, stillzustehen und auf eine Decke zu starren.
Aber heute ist kein Tag wie jeder andere.
Es ist nur eine Babydecke, blau und weiß kariert, arg verblasst schon und ein wenig zerschlissen auf Grund ihres Alters. Eine halbe Decke eigentlich nur; ursprünglich ist sie doppelt so groß gewesen. Ich habe sie in der Mitte geteilt, damals, als das Wir begonnen hat; ich habe jedes Stück säuberlich gesäumt, dir die eine Hälfte gegeben und die andere behalten.
Was willst du mit der halben Decke? hast du gefragt, und ich habe nur die Achseln gezuckt und nichts gesagt. Dabei hätte ich so vieles zu sagen gehabt, aber die Worte wollten ihren Weg nicht nach draußen finden. Sie ist mein Placebo, habe ich gedacht. Irgendwie ein bisschen ein Teil von dir, der bei mir ist, wenn du nicht da bist und ich dich zu sehr vermisse. Wenn du nicht mehr da bist, wäre treffender gewesen, aber diesen Gedanken habe ich damals weit von mir geschoben. Nicht daran denken wollen, dass irgendwann in nicht mehr allzu ferner Zukunft diese halbe Babydecke das einzige sein wird, das mir bleibt.
Es ist nicht deine Schuld gewesen und auch nicht meine. wir haben von Anfang an nicht zu einander gepasst, du und ich. Der Penible und die Anarchie. Die Ordnung gegen das Chaos. Grau gegen bunt, Tag gegen Nacht. Eine kurze Weile warst du verrückt genug nach mir und ich still genug für dich; wir haben von einander gezehrt und einander ergänzt. Aber kein Fluss fließt bergauf, keine Rose wächst im Schnee.
Eine letzte Träne fällt. Es gibt nichts mehr zu beweinen. Unsere Wege führen nicht an dasselbe Ziel, wir wissen es beide.
Ich falte die Decke zusammen, akkurat Kante über Kante, so, wie es dir gefallen hätte. So werde ich sie in meinem Schrank aufbewahren. Und dich in meinem Herzen.
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