Streit der inneren Stimme
von Walina Kamal, 13 Jahre
Frustriert schlage ich die Tür hinter mir zu und schließe mich in meinem Zimmer ein. Ich starre mein Spiegelbild an, aus meinen Augen fließen Tränen und ich frage mich erneut: Wie habe ich es so weit kommen lassen? Ich hatte mir geschworen, dass es nicht wieder vorkommen würde. Ich war so weit gekommen. Und jetzt, jetzt fange ich von vorne an? Verzweifelt werfe ich mich auf mein Bett. Ich wünsche mir gerade nichts sehnlicher als mein altes Leben. Als ich noch nicht das Ganze hier durchmachen musste. Das ständige auf und ab.
„Schatz, mach auf!“, meine Mutter hämmert an die Tür.
„Lass mich in Ruhe!“, bringe ich unter Tränen hervor.
„Komm schon, Sarah. Wir schaffen das zusammen!“, probiert sie es erneut. Sie hatte es also gemerkt. Den Rückschlag. Ich meine, ich habe manchmal schlechte Tage, aber das ist etwas ganz anderes. Und ich will gerade wirklich nicht darüber reden …
Eine Woche zuvor
„Mama, ich bin dann weg!“, verabschiedete ich mich von meiner Mutter, bevor ich aus der Tür heraus stürmte. Ich war spät dran und musste an dem Tag wirklich pünktlich sein, denn ich hatte vergessen, die Mathe-Hausaufgaben zu machen. Das musste ich noch schnell nachholen.
„Okay, tschüss, Sarah! Hab‘ dich lieb!“, rief sie mir hinterher. Damals war noch alles gut. Später, beim Mittagessen in der Cafeteria fing es dann an.
Es gab Hamburger und Pommes, die Mädchen aus meiner Klasse teilten sich alle die Portion, aber ich hatte großen Hunger. Also nahm ich mir eine ganze Portion für mich allein. Zumal ich diese „Phase“ schon durchhatte. Mit zwölf hatte ich plötzlich das Gefühl, zu dick zu sein. Ich fing mit Sport an, anfangs war es noch ein gutes Gefühl. Dann kam es zu Essstörung und zum extremen Sport.
Als ich mich zu den anderen setzte, sagte eine aus meiner Klasse:
„Willst du das wirklich alles essen?“
Das hat mich getriggert. Und meine relativ gute, aber nicht stabile Beziehung zum Essen ist in die Brüche gegangen.
Von da an ging es nur noch abwärts.
„Zudem es noch ein Hamburger ist. Mit Pommes. Wie viele Kalorien hat das wohl? 800?“, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Das war leider nur der Anfang.
Du hast heute keinen Sport gemacht, Eis ist jetzt sicherlich keine gute Idee.
Zu viele Kalorien!
Hey, willst du noch fett werden!
Du hast schon fünf Kilo zugenommen, was soll das? Willst du deinen Weg zum Sommerbody vollkommend ruinieren?
Ständig hörte ich diese Stimmen. Ich tat mein Bestes dagegen anzukämpfen. Schließlich hatte ich es schon einmal geschafft. Wenn man selbst nicht betroffen ist, kann man schlecht verstehen, wie das ist. Es ist wie Streit mit dem eigenen Körper. Streit mit sich selbst, denn letztendlich ist diese Stimme meine eigene. Es ist mein Unterbewusstsein. Die vergangenen sechs Monate hatte ich Streit mit mir selbst.
Ich dachte, der Konflikt wäre gelöst, aber … ich habe mich wohl geirrt. So verfiel ich wieder in alte Muster.
Bis ich schließlich heute … mich … mich übergeben habe. Es war nicht schön, ich habe alles getan, um es zu verhindern, aber es ist einfach passiert. Ich war machtlos. Und genau das regt mich so sehr auf. Es ist eskaliert. Und jetzt sitze ich hier, auf meinem Bett, und kämpfe mit den Tränen, weil mir alles zu viel geworden ist.
Ich brauche den Moment, um mich zu entscheiden. Was will ich jetzt tun?
Ich kann gegen die Stimme ankämpfen, so wie ich es schon zuvor getan hatte oder ich kann … aufgeben. Aber dann hätte ein Teil von mir gewonnen. Ich bin verwirrt, verzweifelt, traurig, wütend und enttäuscht von mir selbst. Das ist alles meine Schuld!
Ich gehe noch einmal das letzte Jahr durch. Die extreme Phase, sechs Monate, in der ich meine Essstörung nicht erkannt hatte und es alles anfing – mit Stimmen, Zahlen, Übergeben. Die „Erkenntnisphase“, eineinhalb Monate, in der ich erkannt hatte, dass ich ein ernstes Problem habe und erste Schritte zur Verbesserung machte. Dann kam die „Verbesserungsphase“, fünf Monate, in der ich die Essstörung so gut wie behoben hatte. Dann die „Wie noch nie zuvor Phase“, in der alles wieder perfekt war. Na ja, was heißt ‚perfekt‘? Mein Essverhältnis hatte sich etwas normalisiert. Wenn ich das nur wieder tun könnte!
Nun sitze ich hier, mit einem Rückschlag, und bin verzweifelt. Ich lege meinen Kopf zwischen die Hände und atme tief ein und aus. Ich muss mich jetzt beruhigen.
Nachdem ich eine Weile nur grübelnd dasitze, schließe ich die Tür wieder auf und verlasse mein Zimmer. Ich wische mir die Tränen aus den Augen und laufe die Treppe hinunter.
In der Küche sitzt meine Mutter, mit einer Tasse Tee.
„Schatz, was willst du jetzt tun?“
„Keine Ahnung. Es ist so schrecklich“, antworte ich. „Und aussichtslos“, füge ich hinzu.
„Du schaffst das schon“, sie greift nach meiner Hand und drückt sie ganz fest. Ich falle ihr um den Hals und schütte ihr mein Herz aus, erzähle ihr alles, worüber ich vorhin nachgedacht habe. Und sie hört mir zu.
Zum Schluss sage ich: „Ich glaube, ich werde es wieder versuchen. Es ist noch nicht so schlimm.“
Mama nickt. „Wir werden dich alle, so gut wie möglich, unterstützen. Du bist stark! Wenn du das überstehst, wirst du viel selbstbewusster sein.“
„Ich hoffe, dass alles gut wird“, sage ich.
„Das wird es bestimmt“, sagt Mama.
Und ich weiß, auch wenn es gerade weit entfernt scheint – es wird alles gut. Am Ende werde ich stärker sein als zuvor. Davon bin ich überzeugt.
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