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Die Liebe meiner Großeltern

Ich, Jahrgang 60, habe selbst für meine Generation sehr alte Großeltern. Meine Großmutter wurde 1877 und mein Großvater 1878 geboren. Meine Großeltern lebten wahrscheinlich die besten Jahre ihres Leben in Estland. Auch in  Dorpat – heute Tallinn.
Meine Mutter war das letzte von insgesamt 12 Kindern und tatsächlich die einzige, die 1921 in Deutschland geboren wurde. Die Liebe meiner Großeltern war in der Familie legendär, und es kursierten erstaunliche Anekdoten über die beiden. Obwohl in Bonn geboren, wuchs Alfred in Estland auf, lernte seine Ida noch als Kind kennen und lieben. Sie, sicher verwöhnt als Tochter des dortigen begüterten Konditors, und angeblich ein Hoflieferant des Zaren, kannte keine Armut.

Als er ihr als Jugendlicher bereits einen Heiratsantrag machte, antwortete sie keck: “Wo kein Geld ist, fliegt die Liebe zum Fenster raus. Geh und mache Dein Kapitänspatent, ich warte solange.“ Es ist nicht überliefert, ob er geschmollt hat, oder froh war, dass sie wartete. Ich bin mir sicher, dass Humor einer der Pfeiler der Liebe meiner Großeltern war, aber noch mehr, dass man sich aufeinander verlassen konnte. Er wusste, dass seine patente und für damalige Zeiten auch für ihren Stand unabhängige Jugendliebe warten würde. Nicht das schlechteste, wenn man ihren Charakter dabei bedenkt.

Es war die Mode der ungeheuer kompliziert aufgesteckten Haartürme mit Spangen und allerlei Schmuck. Sie soll ihre langen, schwarzen Haare geöffnet, sich geradezu frivol im Herrensitz auf ihr Pferd aufgeschwungen haben und mit wehendem Haar und Umhang die schlichte Landbevölkerung in Angst und Schrecken versetzt haben. Beim Anblick wurde sich bekreuzigt und man floh vor der Hexe. So erzählte man es immer wieder bei allerlei Gelegenheiten. Doch zurück.

Alfred nickte also, wahrscheinlich lächelte er und seine hellen Augen blitzten, aber er machte bei der russischen Marine sein Kapitänspatent und heiratete endliche seine Ida.

Der erste Weltkrieg

Noch vor dem Kriegsausbruch war er einige Jahre Kapitän auf einem Handelsschiff. Die Route kann ich nicht nennen, aber eine weitere Anekdote erzählen. Ein halbes Jahr war er immer unterwegs. Bei der langen Zeit war es sicher gestellt, dass wann immer es möglich war, meine Großmutter schwanger wurde, und sie lächelte mal und sagte, dass sie glaube, dass in den anderen Häfen auch einige blauäugige Freds lebten.
Bis Kriegsausbruch war er Vater von 9 Kindern, doch er – als Deutscher – wurde von der Straße weg verhaftet und vor die Wahl gestellt, entweder für die russische Seite zu kämpfen, oder als deutscher Kriegsgefangener nach Sibirien zu gehen.
Er hatte russische Freunde, arbeitete auf einem russischen Handelsschiff und war Deutscher. Begriffe wie Offiziersehre hatten bei ihm großem Stellenwert. Er wollte weder auf Freunde, noch auf Landsmänner schießen. So entschied er sich „selbstverständlich“ für Sibirien.

Meine Großmutter wurde von der Inhaftierung informiert und ebenfalls vor folgende Wahl gestellt: Als Frau eines Deutschen, galt sie ebenfalls als Deutsche und hätte zu den Verwandten nach Deutschland ausreisen können, oder aber ihrem Mann und inklusive mit allen Kindern ins sibirische Lager zu folgen. „Selbstverständlich“ entschied sie sich für das Lager. Die Zeit im Lager überlebten alle Familienmitglieder, und wer einmal  „Schwarzes Eis“  von Sergej Lochthofen gelesen hat, weiß, dass dies nur möglich war, weil mein Großvater handwerklich sehr geschickt war und in einem privilegiertem Lager untergekommen ist, in Jurijew. Er konnte wohl als Schreiner in einer der Baracken arbeiten und damit lebenswichtig ‚nützlich‘ sein. Aus dieser Zeit stammt ein Schachbrett, welches nun sein Ur-Enkel hat. Das leider verloren gegangene Akkordeon, von dem viel erzählt wurde, hätte ich sehr gern mal gesehen.

Um mehr von der Liebe zwischen meinen Großeltern zu hören, würde ich, wenn ich könnte, an dieser Stelle eine Frage stellen:“ Wäre es nicht einfacher für Dich und die Kinder gewesen, auszureisen, und – zu wem hättest Du mit allen Kindern gekonnt?“  Noch erstaunlicher ist, dass sie mit den Kindern in einer dieser Viehwaggons stieg und alle lebend ankamen. Auch noch im Lager kamen zwei Kinder zur Welt, eines bekam eine Nottaufe und verstarb, doch meinen Onkel Leo hielt sie verzweifelt am Leben, obwohl er die ‚englische Krankheit‘ (Rachitis) hatte. Wer schwächelte, war ein unnützer Esser, und ja, es wäre zum Schlimmsten gekommen. Nach Kriegsende konnte Fred mit seiner Ida und den Kindern ausreisen, einige waren schon groß und meine Mutter noch nicht geboren. Sie schafften es nach Mannheim. Als Migrant in der Nachkriegszeit, galoppierender Inflation, Hungersnot, Entbehrung, einen Job und Wohnung durch Beziehungen zu finden, wurde ihm geneidet. So sehr, dass er wohlmöglich deswegen sein Leben verlor, doch das erzähle ich dann im zweiten Teil.

 

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