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Die Geburtstagsparty von Renate Schiansky

„Nächstes Wochenende lade ich alle meine Schulkollegen ein!“

Rebecca, meine große Tochter, ließ ihre Schultasche im Wohnzimmer fallen, hüpfte zu mir in die Küche, schnappte sich einen Apfel vom Obstteller und lümmelte sich auf die Eckbank. Ich seufzte. Es war Freitag, eine anstrengende Woche lag hinter mir, und jetzt stand noch Wäsche waschen, Aufräumen und Abendessen kochen auf dem Programm.

„Kommt nicht in Frage!“, knurrte ich daher sofort. Knapp zwanzig wilde Volksschüler in meiner winzigen Zweizimmerwohnung – das fehlte mir grade noch! Ja, Rebecca hatte Geburtstag, und acht Jahre alt wird man nur einmal im Leben. Aber das muss man wohl nicht gleich mit allen Klassenkameraden feiern!

„Fünf!“, sagte ich daher. „Du kannst fünf deiner besten Freundinnen einladen. Aber nicht mehr!“

„Aber Daniela hat auch die ganze Klasse eingeladen zu ihrer Party!“

„Daniela wohnt auch in einem großen Haus mit einem großen Garten, da kann man problemlos eine große Party veranstalten. Außerdem ist Danielas Papa Arzt und verdient zehn Mal so viel wie ich, der kann auch leicht die ganze Klasse durchfüttern. Wir müssen da schon ein bisschen sparsamer sein.“

„Ach Mensch, immer sparen, sparen, sparen!“, maulte Rebecca. „Ich kann es schon nicht mehr hören! Such dir doch einen besseren Job, wenn du in deinem nicht genug verdienst.“

„Kann ich machen“, zischte ich, jetzt auch wütend. „Aber dann bin ich den ganzen Tag weg, und niemand lernt mit euch, spielt mit euch, oder kocht euch etwas zu essen!“

„Dann heirate eben einen reichen Mann, wie Danielas Mama!“

„Kann ich auch gern machen“, gab ich zurück. „Aber der mag euch vielleicht nicht, ist böse und schimpft ständig. Wäre dir das lieber?“

Rebecca schnaubte, wandte sich um und stapfte wütend aus der Küche. Nach einer Weile kam sie wieder, stemmte die Hände in die Hüften und sagte mit lauter Stimme: „Ich ziehe jetzt aus und suche mir eine neue Mutter!“

Ich ließ den Suppenteller fallen, den ich grade ausgespült hatte, ließ alles Geschirr stehen und liegen und ging langsam auf meine Tochter zu, aber sie wich zurück.

„Komm!“, sagte ich versöhnlich. „Wir nehmen uns jetzt Zeit, nur für dich und mich, wir setzen uns hin und reden miteinander. Irgendwie finden wir schon eine Lösung für unser Problem!“

Rebecca kämpfte gegen die Tränen an, aber sie sammelte tapfer all‘ ihre Stärke zusammen und schrie mich an: „Ich will mich nicht setzen, ich will nicht reden, ich will nur weg!“ Sie schnappte ihren kleinen Rucksack, stopfte ihr Kuscheltier hinein und ihr Lesebuch, zog sich die Schuhe an, nahm ihre Jacke vom Haken an der Garderobe und rief nach ihrer kleinen Schwester.

„Wenn ich eine gute Mutter gefunden habe“, erklärte sie ernsthaft, „dann hole ich dich nach.“

Die kleine Franziska, gerade einmal vier Jahre alt, sah mit großen Augen verständnislos erst mich und dann Rebecca an. „Keine Angst“, flüsterte ich, entgegen meiner eigenen Unsicherheit, und drückte sie fest an mich. „Alles wird gut!“

Ich spürte, wie entschlossen Rebecca war, aber auch, wie sehr sie mit sich kämpfte. Was sollte ich tun? Sie in ihrem Zimmer einsperren? Keine gute Idee. Ich musste Zeit gewinnen. „Du wirst mir fehlen“, sagte ich leise. „Wollen wir uns nicht zum Abschied nochmal in den Arm nehmen?“

„Fass mich nicht an!“, schrie sie mir entgegen. Beide standen wir einander nun doch ziemlich ratlos gegenüber.

„Hör mir gut zu“, sagte ich schließlich. „Wenn du wirklich gehen willst, dann werde ich dich nicht aufhalten. Aber es wird vermutlich ein Weilchen dauern, bis du die Mutter gefunden hast, die du dir wünscht. Also pack dir Wäsche zum Wechseln ein, mach dir ein Brot und eine Flasche Wasser und nimm auch einen Apfel und eine Banane mit.“

Rebecca zog überrascht die Augenbrauen hoch, stellte dann aber doch ihren Rucksack hin, packte zwei T-Shirts, eine lange Hose und eine Weste ein, schnitt sich zwei Scheiben Brot ab, füllte die Wasserflasche mit Limonade, griff zögernd nach dem Obst, zog ihre Jacke an und ging zur Tür. Sie drehte sich noch einmal kurz um, knallte dann die Tür zu und war weg.

Ich starrte ihr fassungslos hinterher.

Franziska, die Kleine, zupfte mich am Ärmel. Ich beugte mich zu ihr hinunter, sie schloss mich ganz fest in die Arme, drückte mich und sagte: „Mama, sei nicht traurig, sie kommt bestimmt bald wieder!“

So saßen wir eine Weile. Stumm flossen bei mir die ersten Tränen; ich war so hilflos und musste doch etwas tun! Ich konnte das Kind doch nicht einfach allein da draußen herumlaufen lassen! Auch wenn wir in einem kleinen Dorf wohnten, wo jeder jeden kannte: es kann doch immer etwas passieren. Unkonzentriert las ich Franziska eines ihrer Lieblingsbücher vor, fragte mich zwischendurch immer wieder: was macht mein Mädchen jetzt?

Plötzlich, vielleicht nach einer halben Stunde, klingelte es. Ich rannte zur Tür – da stand Rebecca! Ich lachte, wollte sie in den Arm nehmen, aber sie wich mir aus, sagte, ohne mich anzusehen: „Es fängt zu regnen an. Ich gehe erst morgen.“

Sie ließ ihren Rucksack fallen, marschierte ins Kinderzimmer, zog sich aus und verkroch sich unter ihrer Decke. Nur wenig später brachte ich auch Franziska zu Bett; ich las ihr noch eine kurze Geschichte vor, küsste sie auf die Stirn und wandte mich dann der Großen zu. Die aber drehte mir den Rücken zu.

„Geh raus!“, murmelte sie. „Ich will dir nicht Gute Nacht sagen!“

An diesem Abend lag ich noch lange wach. Was hätte ich besser machen können? Zweimal noch schlich ich ins Kinderzimmer, um nach Rebecca zu sehen.  Auch sie fand offenbar keine Ruhe. Ihre großen Augen folgten jeder meiner Bewegungen, aber sie blieb stumm.

Wir haben uns wohl beide in den Schlaf geweint.

Gegen sechs Uhr früh weckte mich ein Sonnenstrahl, eine Amsel zwitscherte munter im Apfelbaum vor meinem Fenster. Zwei kleine warme Körper lagen links und rechts, eng an mich gekuschelt, und eine Welle von Liebe und Dankbarkeit durchströmte mich.

Wir verbrachten ein wunderschönes vertrautes Wochenende zu dritt.

„Zehn!“, sagte Rebecca irgendwann zwischen zwei Bissen Apfelstrudel. „Dafür verzichte ich auf mein Geburtstagsgeschenk!“

Ich lachte und handelte sie schließlich auf acht Gäste herunter.

Ihr Geschenk bekam Rebecca natürlich trotzdem.

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