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Oh du Fröhliche – Gastbeitrag von Ursula Nagel

Adventszeit in den 50er Jahren

Auf die Adventszeit freuten wir Kinder uns immer sehr.

Da es früh dunkel wurde fand das Spielen im Hause statt. Zu fünft waren wir. Langweilig wurde es nie. Und selten leise. Was ein Problem war, denn unser Vater war Lokführer im Schichtdienst und musste daher oft tagsüber schlafen um abends wieder ausgeruht die Züge durchs Land steuern zu können. So sorgte nicht selten ein Hausschuh (auf dem Hintern) für die Stille im Advent…

Fast jedes Jahr gab es über die Weihnachtszeit Schnee. Und das Schlittenfahren auf den Hügeln rund um unser Dorf war die größte Freude. Nach kurzer Zeit war unsere wollene Kleidung nass und gefroren. Schneeanzüge oder Schneeschuhe, das gab es damals noch nicht. Aber der Freude tat das keinen Abbruch. Allerdings besaßen wir nur einen Schlitten. Aus Holz. Und keinen auf dem fünf Kinder gleichzeitig Platz gehabt hätten. Streit war somit genauso vorprogrammiert wie das schmerzende Funkeln in den gefrorenen Fingern beim Aufwärmen am Ofen zuhause. Wer als erster aus der Schule zuhause, war beanspruchte den Schlitten für sich. Oh du weitherzige, gütige Weihnachtszeit…

Wenn gebacken wurde duftete das ganze Haus. Der Lebkuchenteig stand im kühlen Hausflur unter der Treppe. Dort konnte man heimlich davon naschen. Natürlich nur in kleinen Portionen, damit es nicht auffiel. Das fertige Gebäck wurde in Schachteln gefüllt und versteckt. Aber genau wie der Teig waren auch diese Schachteln nicht sicher vor aller Augen verborgen. Oh du aufregende Weihnachtszeit…

An Heilig Abend wurde das sonst verborgene Puppenzimmer aufgemöbelt und wir durften bis Heilige Drei Könige damit spielen. Dann verschwand es wieder bis zum nächsten Jahr auf dem Speicher. Das Besondere liegt im Raren.

Genauso verlief es mit der Eisenbahnanlage. Mit dem einzigen Unterschied, dass nicht wir Kinder sondern der Vater derjenige war, der damit spielen durfte. Es war dabei völlig unerheblich, dass er bei der Arbeit die Originalversionen der Lokomotiven selbst führte, ja, auch im Wohnzimmer, auf dem Boden liegend, war er der Chef-Lokführer. Einzig unsere Katze rannte über die Schienen und den Zügen hinterher, bediente dabei Schranken und Signale, während uns nichts als das Zuschauen blieb. Oh du freudvolle Weihnachtszeit…

Ich kann mich nicht erinnern, mir etwas zu Weihnachten gewünscht zu haben, man bekam, was man sowieso brauchte. Pragmatismus statt Wunscherfüllung. Eine Strumpfhose, Feinstrick. Mit Muster. Faber Castell Farben, 6 Stück, in einem Kästchen, wunderschön. So schön, dass ich mich kaum traute sie zu benutzen. Glücklicherweise wurden sie wenigstens nicht schlecht, wie das bei anderen Dingen der Fall war, welche ich aus dem Wunsch heraus mich möglichst lange daran zu freuen und etwas davon zu haben, längst möglich nicht benutzte.

Einmal bekam mein Bruder eine Flöte. Die hatte er sich gewünscht. Und er benutzte sie umgehend. Den ganzen Abend dudelte er darauf herum. Bis es unserem Vater zu viel wurde. Er nahm meinem Bruder die Flöte ab und haute sie ihm auf den Kopf. Jetzt war Ruhe. Fast. Der Bruder heulte. Und die Flöte hatte einen Sprung. Oh du friedliche Weihnachtszeit…

Im neuen Jahr wollte ich das Flötenspielen lernen. Mit der geleimten und fixierten Flöte kam ich zur Flötenschule. Allerdings war durch die Reparatur aus der Flöte vielmehr eine Hupe geworden. Außer schräger Töne war nicht mehr viel aus ihr heraus zu bekommen. Kurze Zeit später heiratete die Flötenlehrerin und zog weg. So gab es auch zur nächsten Heiligen Nacht kein zartes Flötenspiel. Sondern die übliche „Stille“.

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