Die Wette
von Emilia Sadlowski, 11 Jahre
Schweiß läuft über meine Wange. Warum muss der blöde Bus auch immer zu früh kommen? Sonst müsste ich jetzt nicht so schnell rennen, um ihn zu erwischen. Doch leider habe ich auch diesmal kein Glück. Der Bus fährt vor meiner Nase weg. Na super! Da kann ich mir in der Schule was anhören.
Ich lasse mich auf die Bank an der Bushaltestelle fallen und warte auf den nächsten Bus. Laut Fahrplan kommt dieser in 30 Minuten.
Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen.
Ich heiße Kaia, bin 12 Jahre alt und gehe in die 7c der Lichtstein Realschule in Bonn … Ach, ich denke, das reicht, denn mir ist gerade nicht nach Erzählen.
Nach gefühlter Ewigkeit kommt endlich der Bus. Ich seufze erleichtert. Im Bus stecke ich mir Kopfhörer ins Ohr und drehe die Lautstärke auf. Das beruhigt mich wie immer ein wenig.
An der Schule angekommen, versinke ich in Gedanken. Plötzlich laufe ich jemanden um, und bevor ich weiß, wen, liege ich auf dem Boden. Als ich aufblicke, erkenne ich ihn. Oh nein! Es ist Nelio aus meiner Klasse. Ich kenne ihn aber schon seit der Grundschule, und damals hatte er mich auch schon auf dem Kicker.
„Pass doch auf, du Trampler!“, brüllt Nelio.
„Selber“, flüstere ich und will weiter gehen. Doch er baut sich vor mir auf und sagt: „Wo willst du denn so schnell hin, du Affe? Der Spaß beginnt doch jetzt erst richtig.“ Er grinst boshaft.
„Lass mich durch, du Blödkopf!“
„Nein!“ Sein Blick durchbohrt mich.
Dann habe ich plötzlich eine Idee. Ich grinse und sage seelenruhig: „Du willst Streit, oder? Na schön. Lass uns eine Wette abschließen. Wer die besseren Streiche spielt, gewinnt. Wenn ich gewinne, dann lässt du mich in Ruhe. Wenn du gewinnst, kannst du mich weiter ärgern. Dabei? Oder hast du Schiss, du Weichei?“ Ich halte ihm die Hand hin.
Er zögert einen Moment. Dann schlägt er ein. Die Wette gilt. Ich werde sie gewinnen!
Da fällt mir der Unterricht wieder ein und ich renne los.
Im Klassenzimmer funkelt mich Frau Steinberg sofort böse an. „Setz dich, Kaja! Wir reden morgen vor der ersten Pause.“ Mir entgeht die Wut in ihrer Stimme nicht. Sie duldet keinen Widerspruch. Also nicke ich und setze mich neben meine Freundin Elin.
Wir quatschen die ganze Stunde über. In der Pause erzähle ich ihr von der Wette. Sie findet die Idee gut. „Sag mir, wenn du neue Streiche brauchst, Kaia. Ich habe ein paar gute auf Lager.“
Zuhause mache ich direkt nach dem Essen (es gab Pfannkuchen, mein Lieblingsessen) Hausaufgaben. Dann lasse ich mir Streiche einfallen und habe tausend Ideen. Als ich abends ins Bett gehe, lächele ich zufrieden. Nelio kann was erleben. Am nächsten Morgen entwickle ich einen Plan, wie ich die Streiche kombiniere.
Erstaunlicherweise komme ich diesmal pünktlich zum Bus, wahrscheinlich wegen meiner Vorfreude, Nelio alles zurückzugeben, was er mir angetan hat. Dazu zählen auch Lügen, die er über mich verbreitet, was ich ziemlich ekelhaft finde.
In der Schule kommen mir die ersten beiden Stunden ewig lange vor. Dann klingelt es endlich zur Pause. Wie vorher angekündigt, gehe ich zu Frau Steinberg, die gerade Mathe mit uns hatte.
„Kaia, schön, dass du an den Termin gedacht hast. Ich wollte dir nur sagen, dass es so nicht mehr weitergeht. Du kannst nicht immer zu spät kommen! Versprichst du mir ab jetzt pünktlich zu sein? So wie heute?“Sie schaut mich streng an. Ich schaue zu Boden. Nicht weil ich mich schäme. Dass soll sie nur denken. Dann nicke ich. Sie lächelt mich an. Bevor ich mich verabschieden kann, ist sie verschwunden.
Nun kommt der Moment, dem ich seit gestern entgegenfiebere. Mein Plan kann beginnen! Als erstes mache ich Flüssigklebe auf Nelios Stuhl. Hoffentlich trocknet sie nicht. Dem folgen ein paar Zettel mit Pferdestickern in seinem Etui. Zum Schluss räume ich all‘ seine Sachen aus dem Tornister und klebe sie mit doppelseitigem Klebeband an den Tisch, an den Tornister und an den Boden.
Als ich aus dem Raum gehe, um meine Jacke anzuziehen, sehe ich am Ärmel eine Art Schleim. Ich schaue in die Jacke. Der Schleim ist überall (hoffentlich geht das wieder raus!). Zum Glück habe ich es gemerkt, sonst wäre das echt ekelig. Also muss ich wohl oder übel ohne Jacke auf den Schulhof gehen.
Als ich Elin von meinen Streichen und der Jacke erzähle, sagt sie: „Das mit der Jacke ist doof. Deine Ideen sind aber cool. Ich habe übrigens auch eine Idee für den Schulschluss. Du brauchst nur an Nelio vorbeizulaufen und ihm den Inhalt deiner Wasserflasche in den Schritt zu kippen. Danach solltest du schnell wegrennen.“
„Gute Idee!“ Wir kichern.
Als die Glocke zum Unterricht klingelt, läuft Nelio an uns vorbei. Er sieht, dass ich keine Jacke anhabe, und sein Gesicht verfinstert sich. Ich strecke ihm die Zunge heraus.
In der dritten Stunde haben wir Englisch bei Herrn Rehert. Als Nelio in die Klasse geht, und seinen Platz sieht, schreit er auf. Nur mit Mühe schafft er es, einige Teile abzubekommen, doch dann steht Herr Rehert neben ihm.
Herr Rehert duldet keine Unordnung. Wenn Schüler nicht ordentlich sind, lässt er sie meistens nachsitzen. Als er den Tisch von Nelio sieht, ruft er empört: „Nelio Krauert, habe ich dir nicht schon oft genug erklärt, dass ich Unordnung nicht leiden kann? Das gibt eine Stunde Nachsitzen, Raum 132. Ich warte dort auf dich!“
„ Aber …“, startet Nelio einen Wiederspruch, doch Herr Rehert unterbricht ihn. „Kein aber! Ausreden gibt es hier nicht. Und jetzt setz dich!“ Nelio verstummt und setzt sich mürrisch hin. Ich grinse ihn an. Hat er verdient!
Sein Blick kann nur eins bedeuten: Rache.
Der Kleber ist wahrscheinlich schon trocken, sonst würde Nelio etwas merken. Sehr schade!
Als es zur fünfminutigen Pause klingelt, beeile ich mich, meine Sachen zu packen, da wir danach Kunstunterricht haben, der in einem anderen Raum stattfindet. Heute ist Nelio derjenige, der am schnellsten den Raum verlässt, obwohl er sonst zu jeder Stunde zu spät ist.
Im Klassenzimmer angekommen, will ich mich setzen. Zu spät merke ich das Furzkissen, das auf meinem Platz liegt, und schon knattert es. Wäre vor mir ein Loch, wäre ich, ohne zu zögern, hineingesprungen. Sogar mit Salto. Leider gibt es hier kein Loch. Alle drehen sich zu mir um und lachen.
Als ich das Furzkissen in den Mülleimer werfe, schreit es in meinem Kopf nach Vergeltung.
Der Unterricht ist heute langweilig, obwohl ich sonst Kunst ganz okay finde.
Dann klingelt es endlich zum Schulschluss. Ich schnappe mir meine Wasserflasche. Das wird ein nasses Vergnügen!
Auf dem Pausenhof lehnt meine Zielperson an der Wand der Sporthalle. Elin und ich gehen möglichst unauffällig an ihm vorbei. Als ich auf seiner Höhe bin, kippe ich ihm das Wasser in den Schritt. Volltreffer! Nun sprinten Elin und ich los, um uns zu verstecken. Doch Nelio ist stinksauer. Er rennt uns hinterher.
Erst haben wir Vorsprung. Doch dann stolpere ich. Nelio greift mich von hinten. Ich trete ihn, doch er lässt nicht locker und schlägt mir auf den Hinterkopf. Autsch! Elin schreit. Ich trete ihn noch einmal und dieses Mal zeigt es Wirkung – er lässt mich los.
Wir rennen weiter und verstecken uns hinter einer Hausecke. Wir sind in Sicherheit! Trotzdem zittere ich und mein Kopf schmerzt. Der Blick von Elin fragt, ob alles okay ist. Ich nicke. „Vielleicht darfst du heute bei mir schlafen, Kaia? Es ist schließlich Freitag“,sagt sie.
„Ich rufe eben meine Mama an und frage sie.“ Gesagt – getan. Beim dritten Klingeln geht Mama dran und gibt mir ihr Ok. Die Mutter von Elin ist auch einverstanden. Cool! Ich kann sogar sofort mit Elin gehen, die nötigen Sachen wird Mama mir später vorbeibringen.
Bei Elin angekommen, gehen wir sofort in ihr Zimmer. Wir unterhalten uns darüber, was alles in der Schule passiert ist. Plötzlich bekomme ich eine Nachricht auf mein Handy. Ich staune nicht schlecht, als ich sehe, von wem sie ist: von Nelio. Ich lese laut vor: „Hey Kaia, was nach der Schule passiert ist, das tut mir wirklich leid. Ich finde, wir sollten die Wette beenden, oder? Du hast gewonnen. Ich muss dir am Montag in der Schule etwas sagen. In der ersten Pause?“ Elin und ich schauen uns irritiert an. Dann tippe ich: „Finde ich auch. Erste Pause ist okay.“ Ich lese es Elin vor. Sie nickt. Ich schicke es ab. Nach weniger als einer Minute werden wir zum Essen gerufen. Es gibt wieder Pfannkuchen, ja-a!
Nach dem Essen verschwinden Elin und ich wieder in ihrem Zimmer und beraten uns, wie ich mich am Montag verhalten soll. Wir einigen uns auf freundlich, aber auch nicht zu freundlich. Danach schauen wir uns einen tollen Film an, in dem es um Wölfe geht. Als der Film endet, quatschen wir noch etwas, bevor wir einschlafen (was nicht lange dauert). Als ich am nächsten Morgen die Augen aufmache, ist Elin schon wach. Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es schon nach zehn ist. Also gehen wir beide runter zum Esstisch. Das Frühstück ist schon fertig. Es gibt Spiegeleier und Brötchen mit Käse und Wurst. Nach dem Frühstück gehen wir in den Wald spazieren.
Zum Glück ist es sonnig. Ich genieße die frische Luft in vollen Zügen. Als wir am See ankommen, lassen wir die Füße im Wasser baumeln und veranstalten eine kleine Wasserschlacht, die Elin gewinnt. Dass ist aber nicht schlimm, denn es macht trotzdem viel Spaß!
Viel zu schnell ist der Tag vorbei. Als ich von Mama und Papa abgeholt werde, ist es bereits Abend.
Anders als der Samstag ist der Sonntag langweilig. Die meiste Zeit liege ich nur auf dem Bett und denke an morgen. Abends schlafe ich sofort ein.
Am nächsten Morgen hätte ich den Bus um ein Haar wieder verpasst. Dass war echt knapp! Die ersten beiden Stunden haben wir Sport, eins meiner Lieblingsfächer. Heute machen wir Bockspringen, was ich ganz gut kann.
Der Unterricht hört fünf Minuten früher auf, sodass ich pünktlich zum Pausenbeginn umgezogen bin. Nun werde ich nervös. Was, wenn das Treffen eine Falle ist? Ich nehme all‘ meinen Mut zusammen und suche Nelio. Ich finde ihn an einem Baum lehnend. Er scheint auch etwas nervös zu sein, was mich noch kribbeliger macht.
„Hi!“, beginnt er das Gespräch. Und bevor ich antworten kann, redet er weiter: „Es tut mir leid, dass ich immer so doof zu dir war. Ich finde dich ganz okay. Es ist nur … Ich war immer neidisch auf dich, weil du so viele Freunde und so nette Eltern hast. Es tut mir wirklich leid!“ Das Ende schrie er fast.
„Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann“, antworte ich. Eigentlich habe ich seine Entschuldigung angenommen, aber ich will ihn noch etwas zappeln lassen, damit ich sehe, ob er es wirklich ernst meint. Da fängt er an zu betteln: „Bitte, nimm meine Entschuldigung an. Ich kann mir selbst kaum verzeihen. Nimm meine Entschuldigung an!“
„Gut, ich glaube, du meinst es ernst. Ich nehme deine Entschuldigung an. Freunde?“ Ich halte ihm meine Hand hin. Er sieht mich unsicher an. Dann schlägt er erleichtert ein.
Als ich Elin davon erzähle, grinst sie und sagt: „Daran sieht man, dass man gute Menschen nicht immer auf dem ersten Blick erkennt!“
Ich lächele. Elin hat Recht. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das meiste im Menschen ist unsichtbar. Dass habe ich jetzt dank Nelio gelernt und dass ist mir wichtig.
Was für eine tolle Geschichte mit einem so schönen Ende 🙂 🥰
Ich freue mich schon auf weitere Geschichten von dir und bin ziemlich beeindruckt, dass jemand in so jungem Alter schon so schöne Geschichten schreiben kann. 🎀
Weiter so Emilia 👍👍👍
Super spannende Geschichte 👍 hat Spaß gemacht sie zu lesen. Echt Klasse Emilia 👍
Richtig toll!
Der Text ist nicht nur klasse geschrieben,
sondern regt auch inhaltlich zum Nachdenken an!
Weiter so 👌
Die Geschichte ist super toll
Ich möchte noch mehr von dir lesen
Die Geschichte ist super geschrieben, ich war gefesselt und wollte die ganze Zeit wissen wie es weitergeht. Der Inhalt und die Message sind wirklich toll, ich hoffe auf eine weitere Geschichte. Weiter so Emilia 👍🏻😊. Liebe Grüße Miri
Ich finde die Story auch richtig klasse. Vor allem gefällt mir der Schluss super gut!!!
Es ist nämlich eine Stärke sich entschuldigen zu können und auch von Kaia stark, die Entschuldigung ehrlich anzunehmen.
Weiter so Emilia, ich freue mich schon heute auf deine nächste Geschichte. 😀
Tante Enail
Super Geschichte 😍😍😍
Eine tolle Geschichte. Ich konnte nicht aufhören zu lesen, weil ich gespannt war wie diese Geschichte ausgeht. Super geschrieben👍👍
Die Geschichte ist ganz prima!!! Mir war nicht bewusst, dass eine 12jährige solche Texte schreiben kann. Echt super Emilia, ich bin schon sehr auf deine nächste Geschichte gespannt