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Wuschelkopf

Gastbeitrag zum Augusthema „Souvenir“auf Blog Q5 von Bernd Debus

Well, life has a funny way of sneaking up on you
When you think everything’s okay and everything’s going right
And life has a funny way of helping you out when
You think everything’s gone wrong and everything blows up
In your face

(aus ‚Ironic‘ von Alanis Morissette)

„Was hast Du da um den Hals hängen?“, fragte Jens, während er gleichzeitig das Gaspedal bis zum Boden durchtrat, um endlich den uralten Traktor zu überholen, hinter dem sie seit zehn Minuten herzockelten.

Sara zog sich das Schmuckstück über den Kopf und legte es in ihre Hand.

„Eine Muschel?“

„Hab ich geschenkt bekommen.“

„Von deinem Freund?“

Sara rammte Jens ihren Ellenbogen in die Rippen, so dass das Auto leicht ins Schlingern geriet. „Ich bin erst zwölf!“ In ihrer Stimme klang Empörung mit.

„Und mit zwölf hat man noch keinen Freund?“

„Genau“, sagte Sara. „Die Muschel hat ein Mann verkauft, der am Strand lang gelaufen ist. Da wo ich in den Ferien war. Und Toni hat sie für mich ausgesucht.“

„Toni, der Freund von deinem Bruder? War der auch mit?“

„Klar, war der auch mit. Die sagen schon alle, er wär unser dritter Zwilling.“

Sie fuhren jetzt durch eine alte Allee aus Kastanien, deren Kronen die Straße in ein Wechselspiel aus Licht und Schatten tauchten.

„Und, gefällt dir die Muschel?“, fragte Jens.

Sara nickte. „Ja, ich find sie total schön. Wenn ich sie umhänge, muss ich immer an den Sommer denken.“

Eine Harley überholte sie im Zeitlupentempo und der Höllenlärm des nicht vorhandenen Auspuffs unterbrach jedes Gespräch.

„Hast Du auch etwas, dass dich an eine Reise erinnert?“, fragte Sara.

Jens musste grinsen.

„Warum grinst du so?“

„Weil ich gerade gedacht habe, dass es tatsächlich so ein Reiseandenken gibt. Aber es ist etwas seltsam.“ Jens grinste jetzt noch mehr.

„Sag schon!“

„Deine Tante.“

„…war ein Reiseandenken?“

„Ist. – Und ja, manchmal erinnert sie mich daran, wie wir uns kennen gelernt haben. Das war nämlich auf einer Reise.“

„Wo war das?“, wollte Sara wissen.

„In Finnland.“

„Wo ist das?“

„Ganz weit im Norden von Europa. Fast schon in Russland.“

„Erzähl mal!“

Jens schüttelte den Kopf.

„Komm! Bitte!!“

„Das ist eine zu lange Geschichte.“

„Wir haben Zeit“, Sara drehte das Navi so, dass sie auf das Display sehen konnte. „Noch eine Stunde und vierundzwanzig Minuten.“

***

Das Telefon klingelte hartnäckig durchs Camp. Jens drehte sich auf die andere Seite und zog sich das Kopfkissen über die Ohren. Er war nicht mehr zuständig. Für ihn war die Saison zu Ende. Zweieinhalb Monate hatte er Kanu-Touristen über die finnische Seenplatte geführt.

Er mochte die Gäste. Aber alle ein- oder zwei Wochen neue Gesichter und neue Geschichten, die abends am Lagerfeuer erzählt wurden, das konnte ganz schön anstrengend sein.

Das Klingeln brach ab. Keine fünf Minuten später hörte er Schritte auf Holz. Jemand kam über die Planke, die auf das alte Hausboot führte, in dem die Guides ihre Kojen hatten. Es klopfte an der Kabinentür. Dann hörte Jens die Stimme seines Chefs: „Bist du schon wach?“

Mehr als einen Grunzlaut bekam Hartmut nicht als Antwort. Aber so schnell gab er nicht auf. Die Türangeln quietschten. „Ich brauch deine Hilfe. Einer unserer Guides sitzt im Sund fest. Sie hat sich gerade über Handy gemeldet. Der Wind ist zu stark, um solo dagegen zu paddeln. Holst du sie rein?“

Jens zog die Zipfel des Kopfkissens tiefer, so dass seine Stimme dumpf klang: „Kenn ich sie? Und warum nimmt sie nicht einen der Gäste mit in ihr Boot?“

„Nein, du kennst sie nicht. Sie hat immer Mitte der Woche die Gruppen gewechselt und du am Wochenende. Ihr seid euch nicht begegnet. Und sie kann keinen der Gäste mit in ihr Boot nehmen, denn dann müsste einer von denen alleine paddeln. Aber das beherrscht keiner. Das ist eine Seniorengruppe aus der Schweiz. Alles Anfänger.“

Jens stöhnte und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.

Hartmut war hartnäckig. „Ich muss die Hüttengäste nach Lappeenranta zum Flughafen bringen.“

Jens riskierte jetzt doch einen Blick in Richtung Tür: „Und wie soll ich zu ihr hin kommen? Zu Fuß? Der Daimler fährt nicht. Das Thermostat hängt.“

Hartmut lehnte sich gegen den Türrahmen. „Dann schraub das Gehäuse auf und fahr ohne. Oder noch besser, nimm den Setra.“

„Ich hab keinen Führerschein für Busse. Nur für Lastwagen.“

„Das stört hier niemanden. Außerdem sitzt du ja alleine drin. Der Schlüssel hängt oben in meiner Hütte. Die Karte mit dem Standort der Gruppe liegt neben dem Telefon. Ich hab ein Kreuz reingemalt. Sie sind irgendwo auf Parkonmäki.“

Hartmut wandte sich ab. Dann kam er noch mal zurück: „Lass den Bus einfach an dem Gehöft da draußen stehen. Wir können ihn heute Abend wieder zurückholen. Und beeil dich. Sie klang ziemlich fertig.“

Sie! Das war doch kein Job für Frauen hier draußen. Er hatte gestern auch Gegenwind gehabt. Und auch er musste eines der sechs-Meter-Boote alleine fahren. Aber er war mit seiner Gruppe pünktlich reingekommen.

Frauen!

Aber ‚Frauen’ waren kein Thema, über das er gerade nachdenken wollte. Nach dem Fiasko der letzten Saison, hatte er dieses Jahr alle alleinreisenden Teilnehmerinnen mit professioneller Distanz behandelt. Bloß kein Interesse zeigen. Und außer einigen zaghaften Annäherungsversuchen, die er leicht abblocken konnte, war auch nichts passiert.

Er schnupperte kurz an sich und verzog das Gesicht. Aber er sollte sich ja beeilen. Also verzichtete er auf das dringend notwendige Morgenbad, zog sich an und war eine Viertelstunde später unterwegs.

Die meisten Küsten des Saimaa-Sees waren unzugänglich. Schroffe Felsen wechselten sich mit undurchdringlichen Birkenwäldern und Sumpfland ab. Parkonmäki, eine kleine Halbinsel, war da keine Ausnahme. Nachdem er gut anderthalb Kilometer über Felsen geklettert, von einem Grasbüschel zum nächsten gehüpft war und sich durch dichtes Unterholz geschlagen hatte, in dem die Mücken über ihn herfielen, war seine Laune auf dem Tiefstpunkt. Verdammte Scheiße! Wo steckten die?

Gerade hatte er sich mithilfe eines Kiefernstamms auf einen Felsen gezogen, als er Stimmen hörte. Auf der anderen Seite war ein kleiner Sandstrand und dort lagen die gelben Boote mit Hartmuts Firmenemblem. Drumherum hockte die Kanugruppe im Sand. Offensichtlich war man blendender Laune.

Die Führerin war nicht schwer zu finden. Jens schätzte sie vierzig Jahre jünger als der Altersdurchschnitt ihrer Gruppe. Sie hatte einen erstaunlichen Wuschelkopf und wirkte knabenhaft schlank. Das konnte aber auch daran liegen, dass einen zwei Monate tägliches Paddeln kräftige Armmuskeln und breite Schultern bescherten.

„Sag mal, hättest du deinen Standort nicht etwas genauer durchgeben können?“ Jens merkte wie seine Knie zitterten. „Ich bin jetzt eine Stunde über Felsen und durch Büsche gekrochen und hab wahrscheinlich mehr Mückenstiche kassiert, als in den vergangenen zwei Monaten zusammen.“

Ihre Schultern zuckten und das Gesicht unter dem Wuschelkopf lächelte. „Sorry, aber Hartmut hat mir keine Reservebatterien für das GPS mitgegeben. Die, die drinnen waren, sind leer. Und wie soll ich hier mit dem Kompass eine genaue Peilung machen? Ich war schon mal froh, dass ich wenigstens ungefähr einschätzen konnte, wo wir gelandet sind. Du glaubst gar nicht, was da draußen abgeht.“

Jens musterte die Wasserfläche. Tatsächlich war aus der Bucht heraus, neben schaumgekrönten Wellen, nur eines der Peilzeichen für die Seeschiffe zu sehen, die den Sund auf dem Weg von den Papierfabriken im Landesinneren hinüber zum Saimaakanal passierten. Für eine Kreuzpeilung brauchte man aber mindestens zwei der rot-gelb-gestreiften Tafeln.

„Okay“, sagte er und klang kleinlauter als er das beabsichtigt hatte. „Eine Tafel ist ja tatsächlich ein bisschen wenig für eine Peilung.“

Sie zeigte auf die Boote. „Wollen wir?“

So fertig, wie Hartmut sie geschildert hatte, sah sie eigentlich gar nicht aus. Ihr Körper schien ihm sehr sportlich. Sie hatte wohl einfach nicht genügend Kraft, um allein gegen den Sturm anzupaddeln.

Jens nickte und der Wuschelkopf wandte sich an die überwiegend weißhaarige Gruppe, die neugierig den Wortwechsel verfolgt hatte. „Wie Sie sehen, ist Verstärkung eingetroffen. Ich denke, wir sollten gleich weiter fahren, damit wir es noch bis zum Dunkelwerden schaffen!“

Als er mit ihr zusammen das Boot ins Wasser wuchtete, sah er, dass sie doch ziemlich erschöpft sein musste. Ihre Bewegungen waren langsam und kraftsparend. Jens ging es nach der Kraxelei nicht viel besser. Außerdem steckte ihm noch der gestrige Tag in den Knochen. Sie überließ ihm sogar völlig selbstverständlich den Steuerplatz im Heck des Bootes. Wer dort saß, musste allerdings nicht nur vorwärts paddeln, sondern auch das Kanu auf Kurs halten. Das kostete zusätzlich Kraft. Aber zugeben, dass ihm das zu anstrengend war? Niemals!

In den folgenden Stunden paddelten sie verbissen und schweigend gegen den Wind und die Wellen an. Die Teilnehmer waren nach zwei Wochen geübt genug, so dass sich keines der Boote quer stellte oder gar kenterte.

Im Camp trennten sie sich, ohne mehr als das Nötigste geredet zu haben. Sie musste sich um ihre Gruppe kümmern. Er musste die Sauna anheizen, falls einer der Gäste noch ein letztes Mal schwitzen wollte. Die einzige Verpflichtung, die er noch zu erfüllen hatte. Als sie, ihre Gepäcktonne in beiden Händen, den Pfad hinauf verschwand, fiel ihm ein, dass er sie nicht mal nach ihrem Namen gefragt hatte.

Drei Stunden später und nachdem er mit Hartmut zusammen den Bus zurückgeholt hatte, döste Jens bei gemütlichen achtzig Grad auf der obersten Saunabank.
Als sich die Tür öffnete, erspähte er durch den Dampf seines letzten Aufgusses einen Lockenkopf, den er heute schon mehrere Stunden von hinten betrachten durfte. Von vorne sah er genau so wild und ungezähmt aus.

Sie legte ihr Handtuch eine Etage tiefer und streckte sich aus.

„Danke übrigens“, kam ihre Stimme von weiter unten.

„Bedank dich bei Hartmut.“

„Trotzdem Danke.“

Sie schwiegen. Dann erschien ihr Kopf auf Höhe seiner Bankkante.

„Weißt du was. Hier stinkt’s wie in einem Pumakäfig. Wenn du genauso lange nicht mehr baden warst wie ich, sollten wir erstmal in den See.“

Sie stand auf und ging zur Tür. „Kommst du?“

Draußen auf dem Steg wartete sie auf ihn.

„Übrigens, ich heiße Ellen und wer bist du?“

„Jens“, sagte er und sprang schnell ins kalte Wasser.

„Und, besser jetzt?“, wollte er wissen, als sie wieder auf den Holzbänken lagen. „Ich meine so rein geruchsmäßig betrachtet.“

„Deutlich besser“, kam die Antwort von unten. Nach einigen Minuten Stille fragte sie: „Du klingst nicht wie ein Österreicher oder ein Schweizer. Bist du aus Deutschland?“

„Ja.“

„Von wo denn da?“

„Ruhrgebiet.“

„Du redest nicht gerade viel.“

Jens musste lachen. „Ich bin ziemlich müde.“

„Dann lass uns noch mal in den See gehen. Das erfrischt.“

Sie lagen nebeneinander im Wasser auf dem Rücken. Jens prustete, als eine Welle über sein Gesicht lief. Ellen schwamm schließlich mit einigen kräftigen Kraulzügen an die Holzleiter und kletterte hinauf. Sie setzte sich auf den Steg und ließ die Beine baumeln.

„Wie kommst du denn nach Hause?“, fragte sie.

„Mit dem Auto.“

„Kann ich mitfahren? Ich muss in die gleiche Gegend wie du.“

Jens schwamm zur Leiter und hielt sich an der untersten Stufe fest. „Ja klar!“, sagte er.  Erst dann fiel ihm ein, dass er sich gar nicht so sicher war, ob er eine Reisebegleitung wollte. Was war, wenn sie sich anödeten oder sogar stritten?

Und dann erinnerte er sich an Hartmuts Bitte, für ihn die Schwimmwesten mit zurück nach Deutschland zu nehmen. Die vertrugen nämlich den finnischen Frost nicht. „Mist!“, sagte er.

„Was Mist?“

Jens kletterte aus dem Wasser und setzte sich neben sie. Er starrte auf die Wellen, die unter seinen Füßen gegen den Steg schlugen.

„Was ist?“, fragte Ellen.

„Ich soll für Hartmut Schwimmwesten mitnehmen. Hat ich völlig vergessen. Keine Ahnung, ob da noch Platz ist.“

Sie hatten sich abgetrocknet, wieder angezogen und ihre nassen Handtücher in die Sauna gehängt. Zum Schluss räumten sie noch die Asche aus dem Ofen und schütteten sie in ein Loch hinter dem Saunahäuschen.

Von Ellens Gruppe war niemand mehr in die Sauna gekommen und so saßen sie schließlich zu zweit auf dem Achterdeck des Hausbootes. War er mal müde gewesen?

Jens hatte die letzte Flasche Wein aus seinem am Anfang der Saison über die Grenzen geschmuggelten Vorrat geholt, aber sie lehnte ab und so einigten sie sich auf Bitter Lemon und Mineralwasser. Als er das nächste Mal auf die Uhr sah, war es drei Uhr morgens. Seine Sorge, es könnte öde mit ihr werden, war anscheinend unbegründet. Sie sprangen locker von einem Thema zum anderen. Ihr Studium, sein Studium. Wo sie herkam, wo er herkam. Ihre Pläne für die Zukunft. Was er nach dem Studium vorhatte. Wie sie an den Job bei Hartmut gekommen waren. Ihr Erlebnisse mit den Gästen während des Sommers.

Ellens Vorschlag, schlafen zu gehen, war halbherzig und so blieben sie auf, bis die Sonne gegen vier über den Horizont kam.

Als er aufwachte, war es schon nach zehn. Er hörte die Wellen an den Rumpf des Hausbootes schlagen. Aus dem Camp kam kein Laut und ihm fiel ein, dass Ellens Gruppe bereits abgereist war.

Er würde heute den klemmenden Thermostaten austauschen. Das Ersatzteil hatte Hartmut ihm schon vor Wochen aus Lappeenranta mitgebracht. Er würde Öl und Hydraulikflüssigkeiten kontrollieren, noch etwas Kühlwasser auffüllen und eine Proberunde fahren. Vielleicht nach Puumala, Proviant für die Reise einkaufen. Und dann würde er sich morgen auf den Weg Richtung Westen machen. Die Fähre in Turku war mit offenem Abfahrtsdatum gebucht. Aber in dieser Jahreszeit war es kein Problem, einen Platz zu bekommen.

Er würde irgendwo auf dem Fährdeck schlafen. Dann ein Tag durch Schweden und abends von Göteborg nach Dänemark über setzen. Am dritten Tag konnte er wieder in Deutschland sein.

Jens räkelte sich. In den letzten Jahren hatte er sich auf  die Rückkehr in die Zivilisation gefreut. Aber dieses Mal blieb die Vorfreunde aus. Wenn er ehrlich war, dann wollte er noch gar nicht nach Hause fahren. So eilig war es schließlich nicht. Das Semester würde erst in zwei Wochen beginnen.

Aber hier bleiben konnte er auch nicht. In zwei, spätestens drei Tagen hatte Hartmut das Camp winterfest. Danach wollte sein Chef noch in den Norden, Hütten für ein geplantes Reiseangebot zu Silvester besichtigen.

Vorgestern waren ihm drei Tage Autofahren mit guter Musik und ohne den Zwang Smalltalk betreiben zu müssen noch erstrebenswert vorgekommen. Jetzt fürchtete er sich regelrecht davor. So eine Reise konnte auch ziemlich einsam werden. Dazu kam die Müdigkeit. Vor allem in Schweden wäre es gut, jemanden zu haben, mit dem er sich am Steuer abwechseln konnte.

Als er Kaffeepott und Müslitüte zum Achterdeck trug, zögerte er vor ihrer Tür, ging dann aber weiter und setzte sich an den Tisch. Jens starrte auf den Kaffee und rührte abwesend mit einem Löffel in der Tasse herum. Warum eigentlich nicht? Er hatte sich lange nicht mehr so gut unterhalten, wie in der letzten Nacht. Irgendwie war es so gewesen, als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen. So, wie mit einer guten Freundin. – Nein, besser.

Jens stand schließlich auf. Er ging das Außendeck entlang, bis er zu ihrer Tür kam und klopfte. „Bist du schon wach?“

Aus der Kabine kam ein Knurrlaut.

„Soll ich dir einen Kaffee machen?“

„Mmmmmh.“ Sehr gedämpft.

„Schwarz oder mit Milch?“

„Schwarz. Um den Rest kümmere ich mich selber.“ Dann war ein Stöhnen zu hören, das Jens gut verstehen konnte. Er hatte sich beim Aufstehen auch etwas unbeweglich gefühlt.

„Brot oder Müsli?“

„Wenn du schon fragst: Müsli und Apfel.“ Jetzt hörte sie sich wach an. „Ich bin in zehn Minuten da.“

Der Wuschelkopf war an diesem Morgen besonders wild. Das konnte aber auch an dem Wind liegen, der die Wellen in der Bucht sanft kräuselte und die ausgeblichene Persenning über ihren Köpfen schlagen ließ.

„Woher wusstest du, dass ich den Kaffee extra stark mag?“

Jens lachte: „War so eine Ahnung. Ich brauchte heute Morgen auch die XXL-Konzentration.“

Er sah hinaus in die Bucht und beobachtete einen Mittelsäger, der nach jedem Tauchgang mit einem kleinen Fischchen im Schnabel wieder an die Oberfläche kam. „Wie viel Gepäck hast du denn?“, fragte er schließlich.

Wenn sie überrascht war, verbarg sie es gut. „Ein großer Rucksack und eine Reisetasche.“

„Hast du schon gepackt?“

Sie nickte.

„Dann lass uns gleich mal schauen, wie wir das alles unterbringen. Ich hab noch einen großen Packsack über. Da können wir vielleicht den Rucksack reinstecken und dann aufs Dach zwischen die Expeditionstonnen binden. Und ich muss noch was am Auto reparieren. Hast du Zeit?“

Sie lächelte jetzt. „Meine Vorlesungen beginnen auch erst wieder in zwei Wochen.“

„Wir könnten uns Helsinki ansehen oder Lapeenranta oder Stockholm oder wo du hin möchtest.“

„Klingt gut.“

„Aber ich schlaf nicht auf Campingplätzen.“

„Kein Problem. Ich geh auch lieber morgens in einen See als unter die Dusche.“

„Und ich höre ‚Radio-Mafia’.“

„Den Sender, den Hartmut immer eingestellt hat?“

„Genau den.“

„Gute Musik.“

„Ich fahre gerne bis spät in die Nacht.“

„Ich bin eine Eule.“

Jens musste grinsen. Das hatte er letzte Nacht gemerkt. „Hast du einen Führerschein?“, fragte er.

Ellen nickte.

„Das Auto hat eine Lenkradschaltung.“

„Mein Vater hatte einen R 4. Auf dem musste ich fahren lernen. Schlimmer kann die Lenkradschaltung auch nicht sein.“

Sie räumten beide das Frühstücksgeschirr zusammen und trugen alles in die Pantry.

„Soll ich deinen Rucksack zum Parkplatz tragen?“, fragte Jens.

„Das schaff ich schon alleine. Aber du kannst die Reisetasche nehmen.“

„Wohin wollen wir zuerst?“

„Helsinki“, schlug Jens vor.

„Okay. Aber ich fahre“, sagte Ellen.

Jens warf ihr den Autoschlüssel zu und sie fing ihn auf…

***

„Und?“, fragte Sara.

„Nichts und. Wir sind nach Helsinki gefahren.“

„Und?“

„Weiter nach Turku und Marienhamm.“

„Und dann?“

„Nach Stockholm.“

Sara stupste ihn mit dem Ellenbogen an. „Ich wollte nicht eure Reiseroute wissen.“

„Sondern?“

„Du weißt schon.“

„Nein, weiß ich nicht“, sagte Jens.

„Wann ihr euch…“ Sara hakte ihre Zeigefinger ineinander.

„Ich weiß nicht, wann wir uns verliebt haben. Ist einfach so passiert.“

Sara blickte eine ganze Weile schweigend auf die Straße, die jetzt schon keine Markierungen mehr hatte. „Aber ihr habt es gewusst, dass es passiert ist?“

„Nein. – Alle unsere Freunde wussten es. Nur wir nicht.“

„Und wie seid ihr dann zusammen gekommen?“

Jens lächelte. „Wir waren einfach irgendwann zusammen. Es gibt kein Datum, kein besonderes Ereignis.“

Sara lehnte sich in ihrem Sitz zurück.

Die Muschel war unter den Kragen ihres T-Shirts gerutscht. Sie zog sie heraus und ihre Finger betasteten die Rillen auf der Oberfläche.

„Alles okay?“, fragte Jens.

„Hmm“, sagte Sara.

Den Rest der Fahrt schwieg sie, während ihre Finger weiter mit der Muschel um ihren Hals spielten.

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